Mattis Manzel
Zwei
Seemänner sitzen in Barcelona
und essen einen Albatros
Geschichten
1991 erschienen im
Verlag Mathias Gatza Berlin © Mattis Manzel
I might be quite a ghastly guy,
Oh, I stumble,
But my Zen flies high
the Rubbermind Revenge
Inhaltsverzeichnis:
Rundbrief an meine Verehrerinnen
Ich habe eine Krake auf dem Magen
Zwei Seemänner sitzen in Barcelona und essen einen Albatros
HISTORIAE DE PLANTIS
Es hat sich nichts verändert. Staub überzieht die Disteln neben den Reifenspuren, Kamille und Täschelkraut, dürr und ledern am ausgetrockneten Graben, sind wie eh und je am Leben. Ich behaupte, auf dem Rücken zu liegen und in den Himmel zu schauen: Ich könnte Afrika sein. Die Möwen, die von der Halde angezogen werden - ohne die Halde gäbe es hier keine Möwen - die Möwen, die genauso gut ein einzelner Habicht sein könnten, der das Hoheitsgebiet der Deutschen Demokratischen Republik verlassen hat und jetzt über mir kreist, diese Möwen also, die genauso gut ein einzelner Habicht sein könnten, wären dann, wäre ich Afrika, Geier. Was hat sich verändert an den Möwen, am Habicht? An Afrika mit seinen Geiern? Nichts. Das war früher anders: Heute zum Beispiel, oder gestern oder morgen oder vor tausend Jahren war dies alles bereits vergessen; oder es dachte noch niemand daran. Noch unbedacht - längst vergessen. So wird es bleiben. Die Halde, der Habicht, das Hoheitsgebiet. Es hat sich nichts verändert.
Links oben höre ich das Knattern ihrer Mopeds. Sie schreien oder sie pfeifen. Oder sie klettern auf den Baum, der in mein Blickfeld ragt: ein schöner Baum, wie geschaffen zum Klettern und zum Sekt trinken. Wir haben dort Sekt getrunken. Wir haben gebremst, dass es nur so staubte, die Flaschen an den Mund gesetzt und sie in den Himmel gerissen. Kohlensäure hat unsere Wangen aufgepumpt und wir sind erstickt, halb am Sekt, halb am Gelächter.
Ich bin vorbereitet. Worauf, das weiß ich nicht, doch ich bin darauf vorbereitet. Möge es kommen. Möge es im alten Zementwerk kommen. Ich wünschte, ich wäre einmal dort gewesen. Ich wünschte, ich hätte mir einmal vorgestellt, über die verstaubten Förderbänder zu laufen. Ehrlich gesagt, ich habe es mir nie vorgestellt. Ich bin auch nie dort gewesen. Es gab anderes zu tun; wir brauchten das alte Zementwerk nicht. Es hatte etwas Melancholisches. Ich denke so gut wie nie daran. Dabei ragt es nicht weit von mir aus mir hervor.
Sie fahren wilde Rennen über mich hinweg. Erst wenn sie keuchend über die klebrigen Lenker ihrer Fahrräder lehnen, sind sie am Ziel. Erst, wenn sie sich fallen lassen. Dann sind sie am Ziel. Dann schauen wir, gemeinsam: in der Krone der Kiefer der Hochsitz. „Wozu der gut sein soll?“ - Mit jeder Idee eine Patronenhülse zu finden, bricht ein neues Zeitalter an. Und mit jedem Zeitalter, das anbricht, bricht ein neues Zeitalter an und mit derer zwölf oder derer sieben bricht wiederum ein neues Zeitalter an, denn wir befinden uns in einem System aus zwölf und sieben und siebenunddreißig. Die siebenunddreißig ist die Königin der Zahlen, sie darf aber nicht genannt werden. Sie ist die Stunde null, an der der Tag zu Ende geht und die Nacht zu Ende geht und der neue Tag anbricht und die neue Nacht anbricht und an der dies alles zu Ende geht und wieder anbricht. Sie darf nicht genannt werden. Schluss.
Rundbrief an meine Verehrerinnen
Liebe Verehrerin, hurra! Endlich habe ich mich dazu aufraffen können, Dir zu schreiben. Du kannst Dir nicht vorstellen, wie mich mein schlechtes Gewissen geplagt hat, weil ich nichts von mir habe hören lassen, doch glaube mir, Du bist nicht die einzige, die in letzter Zeit auf Nachricht von mir hat warten müssen.
Sicherlich befremdet es Dich, dass Du anstelle eines handgeschriebenen Briefs eine vervielfältigte Kopie lesen musst. Ich will Dir beichten, dass Du nicht die einzige bist, die diesen Brief bekommen hat. So gerne ich Dir auch persönlich geschrieben hätte - ich finde einfach nicht die Zeit dazu. Bitte habe Verständnis und glaube mir, wenn ich Dir versichere: Von denjenigen, an die ich diese Zeilen abgeschickt habe, bist Du mir die allerliebste.
Auf meinen Schultern lastet ein gewaltiger Berg von Verpflichtungen. So vielen jungen Damen will der Hof gemacht werden, so viele hübsche Mädchen wünschen sich einen Anruf oder warten auf Post von mir, dass ich einfach gezwungen bin zu rationalisieren. Mein Körper schafft es nicht mehr, die Arbeiten zu bewältigen, die aus den Gefühlsleistungen meiner Seele erwachsen. Es ist meine uferlose emotionale Potenz, die es mir unmöglich macht, mich so ausgiebig um Dich zu kümmern, wie es Dir ganz ohne Zweifel zustünde. Bitte mein Engel, krampfe Dein kleines Herz nicht vor Ärger zusammen: Das macht Dich alt und bitter und ist letztlich zu Deinem eigenen Schaden. Aus Not doch wähle ich die Form eines Rundschreibens, um mich Dir mitzuteilen. Bedenke: bedeutet das denn, ich hätte Dich etwa weniger lieb?
Lass mich Dir an Hand eines einfachen Beispiels erläutern, wie es mir fast täglich ergeht: Nehmen wir an, ich suche nach einer Telefonzelle, um von dort aus ein langes, zärtliches Gespräch mit einer Verehrerin zu führen, die ich erst seit dem Vortage kenne. Ich finde eine Telefonzelle, doch leider ist sie von einer jungen Frau belegt, und ich bin gezwungen zu warten. Nehmen wir weiter an, es regnet. Die Hände in den Manteltaschen schaue ich durch die Glasscheibe. Weich und warm formt der Mund der jungen Frau Worte, die ich nicht hören kann. Schon keimt in mir der Wunsch, der Angerufene zu sein. Dieser Wunsch wird plastischer, er blüht auf, wird brennender, und andere, verwegenere gesellen sich ihm hinzu. Glaube mir, ich versuche, diesen Gedanken zu widerstehen, doch je mehr ich mich gegen sie zu wehren versuche, desto wilder wuchern sie an mir empor, klingeln mir in den Ohren, rütteln mich und schütteln mich. In meiner Manteltasche umklammere ich den Zettel, auf den die Verehrerin ihre Telefonnummer geschrieben hat. Ich werde meinen Anruf nur aufschieben, beschließe ich, und trete lächelnd auf die junge Frau zu, die gerade die Telefonzelle verlässt. Du weißt, was dann geschieht - so gern erinnere ich mich der wunderbaren Stunden, die wir gemeinsam verbrachten.
Ich bin erschöpft. Nicht etwa von geistiger oder körperlicher Arbeit, nein, emotionale Überanstrengung ist es, die mich seufzend auf mein Lager sinken lässt: Ich bin verliebt. Bitte verstehe mich nicht falsch. Es ist zwar die landläufige Meinung, man verliere die Fähigkeit, sich zu verlieben, je öfter man dies tue - doch das ist nicht wahr. Es verhält sich gerade umgekehrt!
Früher redete ich wirres Zeug und unterließ es tagelang, mich zu rasieren, wenn diejenige, in die ich verliebt war, ihren richtenden Daumen nach unten kehrte. Erwiderte sie hingegen meine Zuneigung, so blieb mein Glück gleichwohl von ihren Launen abhängig. Außerdem habe ich nur zu oft feststellen müssen, dass die überschäumenden Gefühle, die in mir brausten, letztlich die Folge einer kosmetischen Neuentwicklung waren. Schließlich war es die Freude am Gefühl an sich, die mir die Seele öffnete: Seither trägt es mich von einem freundlich erwiderten Lächeln ins nächste - mein Dasein ist ein einziger großartiger Höhenflug des Herzens.
Doch halt! Ich bin durchaus nicht immer leichten Herzens. Oft sogar plagt mich gar ein fürchterlicher Verdacht: Die Liebe - das größte aller Gefühle - sollte sie mir etwa entgehen? Sollte die wahre Liebe etwa nie zur bunten Palette meiner Gefühle gehören? Es kam schon vor, dass ich sie zu verspüren glaubte. Ein Beispiel: Kurz nachdem wir zwei uns trafen, war ich erfüllt von Liebe. Doch wie kann ich mir dessen sicher sein? Wer sagt mir, ob es wirklich Liebe ist? Kaum jemand weiß etwas darüber. Fragt man diejenigen, die sie gefühlt zu haben glauben, verdrehen sie die Augen, reden wirres Zeug und seufzen. Was habe ich nicht alles versucht, um der Liebe teilhaftig zu werden - nie stellte sich jener silberhelle Glockenklang ein, den ich mir, als zu einem Gefühl von Liebe unbedingt zugehörig, vorzustellen immer die Freiheit nahm und nehmen werde. „Voilà! Hier haben wir sie, die Königin der Gefühle!“ - Allein dieser Ausruf meines Herzens gäbe mir Gewissheit.
Vielleicht wäre ich ein glücklicherer Mensch, wenn ich lernte, mich zusammenzunehmen? Vielleicht sollte ich mich endlich an der Erzeugung von Reibungswärme auf der Oberfläche dieses Planeten beteiligen? Ein Spaten in meinen Händen: Vielleicht würde mich das erfüllen? Ich & die anderen - wir schleifen diese Erde. Heute geben wir ihr die Form eines Würfels, und was darf es morgen sein? Ein Tetraeder? Vielleicht ein Ei? Und schon krempeln wir die Ärmel hoch und schaffen dem neuen Ideal entgegen. Immerhin ist das doch unsere vorläufig endgültige Bestimmung, oder etwa nicht?
Wer weiß, vielleicht wäre ich glücklicher? Doch wüsste ich nicht, wie es sich anfühlt, wenn die Brise ins Tuch fährt, das Deck sich neigt, der blutrote Wimpel hoch am Maste knattert und ich in die Tiefen und Untiefen des Verliebtseins hinauskreuze.
Damit genug. Hier muss ich abbrechen, denn gerade fällt mir ein: Ich muss noch einen Rosenstrauß besorgen. - Die rotgelockte Verkäuferin vom Blumenladen an der Ecke, die mit ihren schlanken Händen so unvergleichlich zart die dornigen Stängel bindet. Voll der trüben Gewissheit deines Verzeihens verbleibe ich
- und gib in Zukunft besser auf Dich acht -
Dein Verehrer
Ich war ein Pumpenwärter. Mit einer Hand hielt ich mein Ölkännchen, mit der anderen griff ich auf das Geländer der Galerie, die meine Pumpen umsäumt. Blieb eine von ihnen stehen, so kletterte ich von der Galerie hinab und balancierte über ölverschmierte Bretter hindurch zwischen sausenden Schwungrädern und Kolben zu der Maschine: Ich tat meine Pflicht. Und es gab viel zu tun. Mit meinem Lappen, den ich noch immer in der Tasche trage, wischte ich das schmutzige Fett von der Schubstange, goss aus meinem Kännchen frisches Öl darüber und verteilte es vorsichtig. Hier spannte ich einen Treibriemen oder schmierte ein Gelenk, dort stellte ich ein Lager nach oder reinigte behutsam das Typenschild. Wenn ich fertig war, nahm das große, eiserne Rad Schwung auf, und bald fauchte und stampfte die Pumpe wieder gleich den anderen, deren lebendiges Tosen den Raum erfüllte. Zurückgeklettert hinter den Messinglauf des Geländers sah ich mich um, und immer wusste ich sofort, wohin ich als Nächstes zu eilen hatte. Unter dem geschwärzten Kuppeldach, das sich über mir aufspannt, gibt es viele Pumpen. Ich pflegte sie mit Leidenschaft und Hingabe. Wäre ich bei einer einzigen je nachlässig gewesen, ja hätte ich nicht meine ganze Liebe auf sie verwandt, sie wäre für immer stehen geblieben. Nie habe ich mich niedergesetzt, nie habe ich mich müßig auf das Geländer gelehnt. Den Schaden, der so entstanden wäre, hätte ich nicht wieder gut machen können. Auch die Zeit ist ein Pumpen: man hält mit ihr Schritt oder sie läuft einem davon, und ist dies geschehen, gelingt es nicht, sie einzuholen. Wie eine Sehne durchzog mich ein zäher Wille, der mich aufrecht hielt und einen Schritt vor den anderen setzen ließ. Meine Pumpen dankten es mir mit ihrem lebendigen Auf und Ab. Sie waren meine Welt - ich war ihr Herr und Diener, ihr König und Kerkergenosse. Vom Zenit der schwarzen Kuppel fiel das Licht einer einzigen Lampe auf uns herab. Nie war es mir in den Sinn gekommen, zu fragen, ob sich außerhalb der Mauern etwas regt.
Zwischen den Steinen, kniehoch über der Galerie hatte sich ein fingerbreiter Spalt aufgetan. Ein Lichtstrahl fiel durch die Öffnung. Flach und orangefarben tauchte er auf, wurde heller, beschrieb einen Viertelkreis im Staub, brannte weiß, um sich allmählich wieder abzuschwächen, sich abzuflachen, die Bewegung zum Halbkreis zu strecken, sich orange und endlich rot zu verfärben und schließlich zu verlöschen. Nach einiger Zeit begann die Verwandlung von Neuem, gerade dort, wo sie auch zuvor angefangen hatte. Einmal, als ich an der Stelle vorüberging, schien das Licht für einen Augenblick auf meinen Schuh. Durch das ölverschmierte Leder hindurch spürte ich seine Wärme. Ich eilte fort, erschrocken, stieg die Leiter hinab und lief zu der erstbesten Pumpe, doch ihr Schwungrad drehte sich munter, sie brauchte mich nicht. Und als ich mich umblickte, liefen auch alle meine anderen Pumpen. Da stand ich für einen Moment verwirrt und untätig, und es schien mir, als wärme das Licht noch immer meinen Fuß. Das nächste Mal, als ich an dem Mauerspalt vorüberging, verlangsamten sich meine Schritte, genauso war es beim darauf folgenden Mal und so immerfort, bis ich erneut in den Lichtstrahl trat.
Etwas Grünes, Drahtartiges war durch den Spalt hindurchgewachsen und eine handbreit an den Steinen emporgeklettert. Als ich mich hinabbeugte, spürte ich den lauen Luftzug, der dem Riss in der Mauer entströmte. Wieder und wieder führte mich mein Weg dort vorbei und immer häufiger blieb ich stehen. Das Gewachsene verzweigte sich und brachte gezackte Folien von feiner Struktur hervor. Eine tropfenförmige Kapsel bildete sich, die anschwoll und aufsprang und aus der sich ein wunderbares weißes Folienwerk entfaltete. Jeder Augenblick, den ich damit verbrachte, diese Erscheinung zu betrachten, kam mir erfüllter vor als mein bisheriges Leben. Nur mit aller Kraft riss ich mich davon los. Ich rannte die Galerie entlang, dass meine Schritte nur so durch die Halle schallten, ich wischte und ölte in Windeseile, angewidert vom Gestank und Getöse und besessen von dem Wunsch, zum Spalt in der Mauer zurückzukehren. War so die spärliche Wartung erledigt, trat ich grob in die Räder, und zu meiner Überraschung liefen sie an, obwohl doch meine Liebe inzwischen dem Licht, der Luft und dem fein gezackten Gewächs galt.
In dem Maße aber, mit dem der Lichtschein jedes Mal, wenn er wiederkehrte, kaum spürbar flacher über den Boden der Galerie glitt, und die Luft, die durch den Spalt drang, allmählich kühler und herber wurde, in dem Maße, in dem das Gewächs seinen Saft verlor und verblasste, wurden auch meine Schritte entlang der Galerie kürzer. Eine nach der anderen, blieben meine Pumpen stehen. Oft lehne ich nun am Geländer und blicke hinab auf die schmutzigen Maschinenleiber und stillen Räder, aus denen das Leben gewichen ist. Zeit verstreicht, bis ich mich umwende und zurückkehre zu meinem Platz an der Mauer.
Einmal noch kletterte ich die Leiter hinab. Ich wischte so gut ich konnte, doch fehlt mir mein Ölkännchen. Ich muss es irgendwo liegen gelassen haben und werde es wohl nicht wiederfinden. Ich versuchte die Pumpe anzuwerfen, doch wie eine alte Uhr, die bald wieder schweigt, nachdem man sie geschüttelt hat, blieb auch sie wieder stehen.
Durch den Spalt in der Mauer dringt nunmehr ein fahler Schein. Ein eisiger Lufthauch zieht zu mir herein und macht ein vertrocknetes Gewächs rascheln.
Ich trete über den Rand des Waldes. Ich trete in den Wald hinein, und ich trete aus ihm hervor. Ich überschreite seinen Rand, um gleich darauf wieder kehrtzumachen, so als wäre nichts geschehen. Ich verletze den Wald, indem ich seinen Rand perforiere; und es ist wichtig, dass ich es tue. Mit meinem Schritt nähe ich den Wald gegen den Nichtwald, den ich verlasse, um doch wieder zurückzukehren.
Wenn der Wind, der über den Feldern geht, noch in meine Jacke fährt, streicht schon ein taufeuchter Birkenzweig mir übers Gesicht, und knacken unter meinen Füßen Eicheln, so sehe ich, hoch, zwischen zerfaserten Wolken, die Lerche. Doch dann umgibt mich bereits wieder das Dunkel des Waldes, und ich muss zurück.
So wende ich meinen Schritt und durchdringe die Ränder. Ich halte den Wald und den Nichtwald zusammen, denn sie gehören zueinander. Ohne den Wald bliebe vom Nichtwald nur das Nichts, und kaum wäre es anders, striche man vom Wald etwas fort. Wer sollte die zwei denn unterscheiden, ja überhaupt erkennen, wären sie nicht durch einen Rand voneinander getrennt?
Am Waldrand greifen Zweige nach dem Wind, und zwischen den Wurzeln der Bäume wuchert der Schachtelhalm. Hier atme ich den Gesang der Lerche und den Duft des Harzes.
HISTORIAE DE ANIMALIBUS
Ich reise, wenn ich zu Hause bin, und ich bin zu Hause, wenn ich reise. Ich bin lieber auf Reisen, als zu Hause zu sein, deshalb verlasse ich meine Stadt so ungern. Klar?
Ich kann wirklich nicht von mir behaupten, auf Bali gewesen zu sein. Es bedarf einer gehörigen Portion Fantasielosigkeit oder einer geradezu krankhaft wuchernden Realitätsliebe, so weit zu gehen, ein Flugzeug zu besteigen, damit abzufliegen, wieder zu landen und den Fuß tatsächlich auf Bali zu setzen. Was soll mir denn dort einfallen, zu dem ohrenbetäubenden Gestank einer Fischfabrik, zum Honigtau der Teakwälder oder den Tagträumen eines balinesischen Zimmermädchens, das mir nicht genauso gut auch hier, in meiner verkackten Heimatstadt einfiele? Stattdessen, und da bin ich mir sicher, würden mir die riesigen Titten der Heidelberger Studentin nicht mehr aus dem Kopf gehen, die mir ständig den Blick aus dem Fenster versperrten, oder ich wäre tagelang damit beschäftigt, mit dem einzigen mir zur Verfügung stehenden Handtuch die Kakerlaken hinter dem Kleiderschrank hervorzuscheuchen. Um Himmels willen! Es ist lobenswert, die Erinnerung an eine einzigartige Perspektive wachzuhalten: Sie lehnt sich zurück in ihren Fensterplatz-Sessel, schließt die Augen und lässt endlich den Wechselblick zu, zwischen ihrem kolossalen Busen und den Himalaja-Gipfeln, die wir überfliegen. Dagegen ist nichts zu sagen, das ist inspirierend, das ist gutartig, das ist Natur. Doch muss ich deshalb bis nach Bali reisen? Ich meine, muss ich überhaupt reisen, meine Stadt, ja meine Wohnung verlassen?
Nicht, um abzuheben, verreisen Leute, sondern weil sie wieder runter wollen. Nicht, weil sie Fernweh haben, lassen sie alles stehen und liegen und umrunden den halben Erdball, sondern weil sie Heimweh haben. Sie wollen nach Hause: Sie wollen nach Herzenslust Kakerlaken tottreten oder sich zurücklehnen, die Augen schließen und nicht mehr an Reinhold Messner denken, der rot angelaufen und nach Atem ringend ihren Busen erklimmt.
Über den Kohlen in meinem Keller schwebt eine Wespe. Ich höre das Sirren ihrer Flügel bis hinauf in meine Wohnung. Meine Nachbarn klappern mit Töpfen oder scharren ihre Stiefel auf den Fußabtretern vor ihren Wohnungen, dennoch vernehme ich den sirrenden Flügelschlag meiner Wespe.
Das Geräusch beruhigt mich. Solange ich es höre, weiß ich, dass der Winter endlich ist. Den Sommer fürchte ich nicht. Kaum habe ich ihn bemerkt, ist er auch schon vorüber. Anders dagegen der Winter: Viel zu früh, meist noch im alten Jahr, wenn der frisch gefallene Schnee, den die Hauswarte von den Gehsteigen fegen, seinen Zauber bereits verloren hat, erfasst mich der Wunsch, es möge doch wieder wärmer werden, und jedes Mal erschrecke ich, wenn ich bedenke, dass mir die längsten und kältesten Monate noch bevorstehen. Dann lausche ich meiner Wespe. Ich male mir aus, wie schön ihre gelben Streifen sich von den Kohlen abheben, und sehne den Tagen entgegen, an denen es zwischen den Gehwegplatten aufkeimt und die Bäume und Hecken voller Knospen sind.
Man glaubt, mit dem Herannahen des Winters würden die Bewegungen der Wespen langsamer, bis sie in klammen Oktobernächten kaum mehr kriechen können und spätestens beim ersten Frost sterben müssen. Das ist richtig. Doch es gilt nicht für meine Wespe, denn während des Winters schwebt sie in meinem Keller über den Kohlen. Sie kann keine einzige entbehren. Deshalb heize ich den Ofen in meiner Wohnung nicht. Bisweilen friere ich so sehr, dass mir die einfachsten Angelegenheiten, etwa ein Brot zu schneiden oder einen Brief zu schreiben, unmöglich werden. An solchen Tagen kommt es vor, dass ich zum Kellerschlüssel greife. Doch dann besinne ich mich, wie scheu meine Wespe ist. Spätestens, wenn ich gebückt den Kellergang entlangkäme und der Schein meiner Lampe zwischen den zusammengenagelten Latten hindurch auf die Kohlen fiele, würde sie durch das Gitter vor der Fensteröffnung mir zu entfliehen versuchen, und draußen in der eisigen Luft, fernab der wärmenden Kohlen, umkommen. Nein, sage ich zu mir selbst, lieber friere ich.
Einmal, zum Ende des Sommers, steige ich in den Keller hinab. Meine Wespe labt sich dann noch an den Pflaumenkuchen, die während dieser Tage überall in den Straßencafés serviert werden. Sie genießt die letzten warmen Sonnenstrahlen, und erst, wenn es kühler wird, kommt sie und schwebt über den Kohlen. Wenn alles für den Winter bereitet ist, verriegele ich die Tür. Ich betrete den Keller nicht mehr, bis ich im nächsten Frühjahr die erste Wespe zu Gesicht bekomme, von der ich nicht wissen kann, ob es diejenige ist, die, wie auch ich, das Jahr überstanden hat - denn meine Wespe ist eine ganz gewöhnliche Wespe.
O.K. Immerhin wurden Wörter aneinander gereiht. Es fällt mir eben leicht, sie aneinander zu reihen. Außerdem ist die Gefahr kleiner, auf halber Strecke von dem Gedanken überrannt zu werden: „Was tue ich hier eigentlich?“. Monatelang basteln, organisieren, und dann funktioniert dies nicht und klappt das nicht, und am Schluss findet man sich wieder, eingekeilt und aufgerieben zwischen einen Haufen Schrott und einem Haufen Schulden. Nein: nichts für mich.
Daher mein Angebot:
Vielleicht verspürt irgendein vor Energie überschäumender, aber an Ideen armer Künstler Lust, meinem Werk die Eigenschaft zu geben, dass man sich daran den Kopf stoßen kann, bitte! Wenn das Honorar stimmt, werde ich mich sogar dazu bereiterklären, zur Eröffnung der Ausstellung einige meiner Texte vorzulesen.
Ich möchte folgendes klar stellen:
- Meine Idee ist realisierbar und daher keineswegs an die literarische Form gebunden.
- Das Werk ist nicht genial und nur mäßig imposant (es ist also ein ganz normales Kunstwerk).
- Ich nehme mich selbst und meine Idee todernst.
Also:
Idee zu einem Kunstwerk
Ein geeigneter Raum sollte rechteckigen Grundriss und mäßige Größe haben. Zwischen dem Fußboden und dem Kunstwerk muss ein Abstand verbleiben, der es dem Betrachter erlaubt, in der Hocke darunter umherzuwatscheln, ohne es zu berühren. Bis auf die Installation an der Decke ist der Raum leer. Es steht nichts auf dem Fußboden. Die Wände sind weiß; Fenster müssen weiß verkleidet werden. Die einzige Tür, durch die man den Raum betreten kann, wird so umgebaut, dass der Besucher bereits in die Hocke gehen muss, um in den Raum hinein zu gelangen. Ein angrenzender Raum, der für die Besucher nicht zugänglich ist, bietet der Steuerung sowie dem Kompressor Platz.
Das Kernstück des Kunstwerks sind Gummilungen. Sie haben die Größe und Form menschlicher Lungen. Hergestellt aus schwarzem Gummi lassen sie sich wie Luftballons aufblasen. Lässt man die hineingepumpte Luft wieder ausströmen, hängen die Lungenflügel schlaff herab.
In Kopfhöhe wird in den Raum eine Zwischendecke aus Gerüstrohr eingezogen. Die Rohre werden im Abstand von einem knappen halben Meter parallel zur Stirnseite des Raums montiert. Sie reichen von einer Wand zur gegenüberliegenden. An den Rohren werden die Lungen befestigt. Sie hängen über der gesamten Fläche des Raums in Reihen dicht nebeneinander. An keinem Punkt kann sich der Betrachter aufrichten, ohne dass sein Kopf zwischen herabhängendes Gummi gerät.
Die Lungen sind über Schläuche mit einer Pressluftleitung verbunden. Zwischen den Druckleitungen und den Lungen liegen elektronisch steuerbare Ventile. Sie ermöglichen es, die Lungen sowohl langsam als auch sehr plötzlich aufzublasen. Außerdem kann man die Zufuhr zu jeder Lunge sperren und die Luft - ebenso regelbar - wieder ausströmen lassen. Die Ventile werden über einen Computer gesteuert. Eine entsprechende Software muss sich der Künstler erstellen lassen. Die Lungen können so voneinander unabhängig in Atembewegungen versetzt werden: langsames Atmen, Hecheln, Anhalten des Atems, Husten und flacher Atem können simuliert werden. Eine gute Software sollte es ermöglichen, eine halbe Stunde programmierten Atemgeschehens ablaufen zu lassen. Die Besucher können den Raum jederzeit betreten und wieder verlassen, sie können umherwatscheln, sitzen oder liegen.
Eine Anregung:
Anfangs Bewegungslosigkeit, dann allmählich vereinzelte Lungen, die leicht zu atmen anfangen. Es atmen immer mehr Lungen. Phasen kollektiven Hüstelns treten ein, vereinzelte halten für eine Weile die Luft an. Mal eine Lunge, die zunehmend schneller atmet und schließlich jäh abgeschaltet wird, während die anderen mehr und mehr in einen gleichmäßigen Atemtakt geraten. Ein plötzliches heftiges Keuchen aller. Steigerung zu einem gemeinsamen Todeskampf individueller Art und Dauer.
Bewegungen, die für menschliche Lungen untypisch sind, können sehr wirkungsvoll sein: beispielsweise das ultralangsame Einatmen bis zum Platzen einer Lunge. Der Künstler sollte sich beim Programmieren auf Atembewegungen konzentrieren, die denen des Menschen nahe kommen. Das laute Flattern einer geplatzten Lunge durch ein Ventil, das nach ihrem Zerbersten weiterhin geöffnet bleibt, kann stören. Es sollte als Effekt betrachtet und sehr sparsam eingesetzt werden.
Neben den üblichen Gremien zur Kulturförderung empfiehlt es sich, die folgenden potenziellen Sponsoren auf finanzielle Unterstützung hin abzuklopfen: Hersteller von Hustenbonbons, Gasmasken, Tauch- und Atemschutzgeräten, Giftgas, Herz-Lungen- Maschinen sowie Firmen, die Filter für Müllverbrennungsanlagen bauen. Außerdem könnten das Bundesumweltministerium, das Kriegsministerium, Organisationen zur Ächtung von C-Waffen, die Kommunalräte von Luftkurorten und die Betreiber von Asthma- und Tuberkulosesanatorien Unterstützung gewähren. Tritt der Künstler oder das ihn vertretende Management in geschickter Weise an die Tabakwarenindustrie heran, die sich immer wieder für ungewöhnliche Werbekonzepte offen zeigt, lassen sich möglicherweise auch dort Mittel locker machen.
Wenn ich auf den Toilettendeckel steige und von dort aus weiter auf den Spülkasten, und wenn ich mich dort auf die Zehenspitzen stelle, so kann ich das Fenster erreichen und zwischen den rostigen Gitterstäben hindurch auf die Straße sehen. Es ist dieselbe Straße, auf die das graue Stahltor mündet, das man geöffnet hatte, als ich eingeliefert wurde. Dies eine Fenster nur gibt den Blick auf die Straße frei - durch die wenigen anderen Fenster, zu denen ich Zugang habe, kann ich lediglich auf den kiesbedeckten Hof hinausschauen. Dort hinterlassen die Schritte der Häftlinge bei den täglichen Leibesübungen die immer gleichen Spuren.
Ich verletze die Staubschicht, die das Sims vor dem Fenster überzieht, doch ich lege meine Finger immer auf die gleichen Mauersteine. So bleibt der Staub auf den übrigen Steinen unberührt. Außer mir weiß niemand, dass man durch dieses Fenster auf die Welt vor den Gittern hinausblicken kann.
An sechs Tagen der Woche arbeite ich in der Küche. Während dieser Tage habe ich die Möglichkeit, in den Toilettenraum zu gelangen, dessen Außenwand knapp unter der Decke von jener Fensteröffnung durchbrochen ist. Ich achte darauf, dass ich mich nicht zu oft und nicht zu lange dort aufhalte, denn das Wachpersonal und die anderen Häftlinge könnten mich verdächtigen. Die Stunden in der Küche vergehen schnell. In Gedanken laufe ich auf dem Bürgersteig vor der roten Backsteinmauer an dem grauen Stahltor vorüber. Sonntags bin ich in meiner Zelle oder, in der Früh, draußen bei den Leibesübungen.
Auf dem Hof wächst eine Birke. Im vergangenen Herbst habe ich drei ihrer Blätter vom Kies aufgelesen und mit auf meine Zelle genommen. Diese drei Blätter zusammen sind etwa so groß wie ein Blatt der Platanen, die in der Straße wachsen. Zur Hälfte von einem dieser Bäume verdeckt, sehe ich auf ein Mietshaus. Hinter den Fenstern hängen Gardinen; ich kenne die Bewohner des Hauses nicht. Bisweilen tritt jemand durch den Eingang auf die Straße oder ein Mann mit Hut und Aktentasche kehrt heim. Die Personen jedoch sind immer wieder andere, auch wenn ich im ersten Moment oft glaube, ich hätte sie schon einmal beobachtet. Manchmal fahren auch Autos vorüber, doch in ihren Scheiben spiegelt sich der Himmel und die Gesichter der Fahrer bleiben unsichtbar.
Was ich mir bei meiner Einlieferung vom Fenster des Polizeibusses aus eingeschärft habe, ist inzwischen aus meinem Gedächtnis verschwunden. Könnte ich weiter nach rechts aus dem Fenster hinausschauen, würde dort der Bahnhof der Stadtbahn zu sehen sein - allein daran erinnere ich mich. Es gibt eine Fassade, Türen, ein Schild mit der Aufschrift „Lehrter Stadtbahnhof“. Doch jedes Mal wenn ich versuche mir den Bahnhof vorzustellen, sieht er anders aus: Ich kombiniere verschiedene Fassaden mit Türen, die in unterschiedlichen Farben angestrichen sind, und setze immer wieder neue Schriftzüge in nie gleich geformte Schilder ein.
Heute beobachtete ich eine junge Frau, die neben der weit geöffneten Ladetür eines Transportautos stand. Zwei Arbeiter luden ein blaues Bett aus. Sie wollte helfen, doch einer der Männer schüttelte den Kopf und sie trat zurück. Dann eilte sie die wenigen Stufen zum Hauseingang empor.
Abends in meiner Zelle nahm ich das Foto hervor. Ich trage es immer bei mir und habe es so eingehend betrachtet wie kein zweites Bild. Es ist vor vielen Jahren aufgenommen worden und zeigt mich an einem sonnigen Tag. Ich gehe voraus und schaue mich um. Ich trage ein helles Kleid, einen breiten Sommerhut und habe das Gesicht eines Vogels.
Im Parterre des Mietshauses steht ein Fenster offen, das bisher geschlossen war. Durch das Fenster erkenne ich das blaue Bett. Die junge Frau bereitet etwas vor.
Seine Kniekehlen berühren die Bettkante. Er streckt die Arme aus, lässt sich zurückfallen und streift seine Schuhe ab. Einer nach dem anderen poltern sie auf die Dielen. Zwischen Platanenblättern hindurch fällt das Licht einer Straßenlaterne auf sein Gesicht. Sie lehnt gegen die Wand und schaut ihn an. Mit einem Daumennagel drückt sie in die weißgestrichene Tapete. Als er den Kopf hebt und in den Raum zurückblickt, schlägt sie die Augen nieder. „Komm!“, sagt er.
Hinter dem Rücken reibt sie den kalkigen Staub unter ihrem Daumennagel hervor, dann gleiten ihre Hände eng am Körper nach vorn und greifen in Höhe ihres Bauchnabels ineinander. Als sie das Bett erreicht, fasst er sie am Arm und zieht sie zu sich hinab. Für einem Moment treibt die Körperwalze eine Bugwelle aus Luft unter dem Bettzeug vor sich her, dann liegt er auf ihr und drückt sie in die Matratze. Ihre Schneidezähne werden zum Gipfel ihres Gesichts.
Über Nacht hat sich das Blatt einer tropischen Pflanze entrollt. Man kann das Blatt sehen, das folgen wird. Noch ist es blas und fest zusammengerollt.
Die Schulglocke läutet und der Staub, den die Schüler aufgewirbelt haben, legt sich. An windstillen Junitagen rieselt aus den Kronen der Silberpappeln ein gleichmäßiger Schauer wolliger Samen und überzieht den Schotter bis zur nächsten Pause mit einem Hauch aus schimmernden Flocken. Ein einzelnes Kind schon, das vor Unterrichtsschluss heimgeschickt wird und seinen Ranzen müde über den Hof trägt, kann den vergänglichen Flaum zerstören.
Hinter den herabgelassenen Jalousien des Biologiesaals herrscht ein entrücktes, vom Surren eines Filmprojektors erfülltes Dunkel. Zwei kleine, silberbraune Fische umkreisen einander mit aufgerissenen Mäulern und aufgestellten Kiemendeckeln. Sie fallen übereinander her und kämpfen. Am Schluss des Films färbt der Endstreifen die Leinwand für einige Sekunden leuchtend rot; dann flackern Neonröhren auf und der auslaufende Film prasselt gegen den Projektor. Es läutet.
Er kniet auf dem Kopfkissen, seine Ellenbogen lehnen auf das Fensterbrett. Er blickt hinaus in den Morgen. Wäre sie wach, hätte sie ihm das Gesicht zugewandt, als er sich aufgerichtet hat. Ein schiefes Lächeln zuckt über seine Lippen.
Kokon: Knospe, Ei. Nichts an den Flügeln eines Insekts, nichts am Blatt einer Orchidee oder am Gefieder eines Vogels erinnern noch daran. Seine Gedanken wachsen als kupferne Drähte an ihr empor, höher und höher hinauf. Er umwindet sie zu einem kupferroten Kokon.
In weiten Kreisen weht der Wind den Staub über die Straße. Der Wind packt ihn bei den Haaren und zieht ihn durch die Glasscheibe zu sich hinaus. Zwischen Staub und Papierfetzen schleift er ihn über den Fahrdamm, saugt ihn empor, lässt ihn vor der roten Mauer eines schweren Gebäudes wieder fallen. Der Wind packt ihn, wirft ihn umher, lässt ihn kreiseln und schleudert ihn auf ein Fenstersims. Er versucht sich an ein Gitter zu klammern, doch der Wind pflückt ihn wieder ab und reißt ihn weiter in die Höhe. Durch ein unvergittertes Fenster im obersten Stockwerk wird er in das Gebäude hineingeschleudert. Er klatscht auf das Linoleum und wird zu Licht. Es saugt ihn in den Bildschirm eines Fernsehmonitors hinein und er wird zu elektrischem Strom. Es treibt ihn durch Drähte und Leitungen, bis vor das Objektiv einer Kamera, die in einem kahlen Gang unter der Decke befestigt ist. Zu einer öligen Säure geworden tropft er von der Einfassung der Objektivlinse, zäh und als ein einziger Tropfen nur, hinab auf den blankgetretenen Steinfußboden. So dringt er in das rote Gebäude.
Wenn er mit den Fingern zwischen die Flügel des Stahltors fahren und es nur einen Spalt weit aufdrücken könnte, er würde sich hindurchzwängen und hinter dem Tor verschwinden. Dieser rote Block ist ein riesenhafter Frosch, der einen fein geschliffenen Smaragd verschluckt hat.
Es knallt. Schützend zieht er den Kopf zurück. Ein zweites helles Knacken ertönt, dann zerspritzen Tropfen bis gegen die Fensterscheibe. Staunend beobachtet er, wie die Straße mit einer Blasen schlagenden Wasserschicht überzogen wird. Die letzten trockenen Flecken auf dem grauen Tor verdunkeln sich.
Er steigt leise aus dem Bett. Als er sein Hemd von der Lehne des Stuhls zieht, klickern die Knöpfe über das Holz. Der Stoff klebt auf seiner Haut. Er versucht das Hemd zuzuknöpfen, doch er bekommt die kleinen Knöpfe nicht zu fassen. Seine Finger fühlen sich an, wie von dicken Handschuhen überzogen, doch sie sind schlank und nackt. Ihm schwindelt und er lässt sich auf den Stuhl sinken. Erneut versucht er einen Knopf zu fassen, doch es gelingt nicht. Draußen singt der Regen. Als er den Kopf in den Nacken drückt, sitzt an der Zimmerdecke ein Gecko.
Das Tier sieht aus wie aus einem spröden, unedlen Metall gegossen, das sich an der Luft gleichmäßig mit graugrünem Oxid überzogen hat. An den Seiten, wo der Hals in den flachen, dreieckigen Kopf übergeht, bemerkt er ein schnelles Pulsieren. Bis auf diese kaum sichtbare Bewegung ist der Gecko reglos. Seine Augen sind groß und golden. Sie beobachten ihn.
Etwas berührt ihn am Arm und er fährt zusammen. Neben ihm erhebt sie ihren Kopf aus dem Gebirge von Kissen. Sie lächelt sanft und streicht ihm übers Haar. Er blickt zurück an die Zimmerdecke. Würde das Tier herabfallen, fiele es auf sein Gesicht. Von seiner Körpermitte her bricht eine Welle mikroskopischer Stiche aus und pflanzt sich bis in seine Zehen und Fingerspitzen fort.
Der zarte Leib ist leicht und weich,
so leicht, dass ich es kaum spüren kann.
So träumt er.
Wenn ich im feuchten Sand liege
und die Augen öffne,
sitzt es auf meinem Unterarm,
und ist so leicht und weich,
dass ich es kaum spüren kann.
So träumt er.
Es blickt mich an,
für einen Augenblick schaut es
auf meine Lippen, meinen Mund.
Dann ist es fort, verschwunden, zwischen den Schatten, den Blättern, zurück, irgendwo zwischen den Wurzeln, in der Luft, verborgen, im Dickicht, in den tropfenden Mangroven. Bis zu den Knien im lebendigen Schlamm stolpere ich umher auf der Suche nach diesem graugrünen Armreif und rufe, und blicke empor zwischen Stämmen, hinauf in die Wipfel, wo auf jedem Zweig, unter jedem Stück abblätternder Borke verborgen sein könnte was ich suche und was ich doch nicht finden werde.
So träumt er.
Er verlässt das Zimmer. Er klebt auf dem Laken, als sei er aus Stein. Der
Erdball unter ihm zieht ihn in die Matratze hinein und Schweiß läuft von seiner
Stirn und seinen Schläfen auf die Mitte des Planeten zu. Von der Zimmerdecke
hängt eine Glühbirne herab. An dem Draht läuft ein Tropfen entlang, rinnt
über die Fassung auf das heiße Glas und verdampft mit einem hellen, kaum hörbaren
Zischen. Der empörte Laut nistet in seinem Ohr als ein winziger, scharfkantiger
Glassplitter auf dem Polster der ihn umgebenden Stille. Vor dem Fenster hält
der Regen die zitternden Blätter niedergedrückt. Das Wasser läuft am roten
Mauerwerk hinab.
In schnellem Wechsel biegt sich der Rumpf des Geckos. Seine breiten Zehen streichen über die Decke. Genauso mechanisch, wie er losgekrochen ist, bricht die Bewegung wieder ab.
Die junge Frau geht durchs Zimmer. Er will etwas sagen, doch aus der Krone des Baums löst sich eine große warme Frucht. Die Frucht fällt durch seine Luftröhre herab, touchiert die gerippten, feuchten Wände des lang gestreckten Hohlraums, trudelt und dreht sich um ihre Achse. Sie dringt klatschend durch das Blattwerk seiner Eingeweide, zerschlägt schwer auf seinem Geschlecht und keimt. Als sie aufschlägt, durchfährt ein Zucken den Grund, dann schaukelt sich der Morast zu einem sanften Beben auf. Vor seinen Augen verfärben sich weich zerfließende Teller, verzögert folgen sie den Impulsen, er taucht in warmes Sekret, in dem sich das Licht opalisierend bricht, wolkenartige Fetzen umschwimmen ihn, und er steigt empor als ein wassergefüllter Ballon vom Grund eines Tümpels, zerplatzt, zerfällt zu einem dumpfen Nebel, zum stinkenden Exkrement seiner Überanstrengung.
Auf den Dielen neben dem Bett steht ein Glas, in dem Eiswürfel schwimmen. An der Außenseite des Glases hat sich ein Schleier aus feinen Perlen niedergeschlagen. Manchmal fließen einige der Perlen zu einem Tropfen zusammen, der hinabrinnt. Um den Fuß des Glases hat sich eine Pfütze gebildet, in der sich der Gecko spiegelt. Wenn ein Tropfen auf das Wasser hinabläuft, erzittert das Spiegelbild für einen Augenblick, und er erschrickt vor der dämonischen Maske oder der Schlange, die ihn anstarrt. Doch die Oberfläche beruhigt sich wieder, und, wo er eben noch eine Tänzerin oder ein geflügeltes Pferd zu sehen glaubte, erkennt er wieder die kleine, graugrüne Echse.
Ich werde hinausgeführt. Das Stahltor öffnet sich, und ich trete über die weiße Linie, die über die Einfahrt verläuft. Hinter mir knackt der Mechanismus, der das Tor wieder schließt. Es regnet. Im Parterre des Mietshauses gegenüber steht ein Fenster offen. Eine graugrüne Eidechse flüchtet ins Freie. Geschwind kriecht sie an der Fassade entlang und verschwindet hinter der Hausecke. Ich setze mich in Bewegung. Es kann nicht weit sein bis zum Bahnhof der Stadtbahn.
Elke ist ziemlich groß. Sie findet, ihr Name passt nicht zu ihr. Sie findet, ihr Name hat etwas Kuhäugiges. Elke findet sich nicht kuhäugig. „Du hast einen Schuss im Sender“, hat gestern Nacht jemand zu ihr gesagt. „Selber Schuss im Sender“, denkt Elke.
Sie schaut auf ihre Füße. Entweder sie deckt sie zu und friert an den Schultern, oder sie zieht die Bettdecke hinauf bis unters Kinn und bekommt kalte Füße. So groß ist Elke. Am liebsten hätte sie eine riesige Bettdecke, mit der sie sich und alles andere zudecken kann. Hat sie aber nicht. Ihre Decke hat normale Länge und ist gefüllt mit billigen Federn. Elke hat keineswegs normale Länge; sie ist ziemlich groß.
Ihre Zehen bewegen sich, erst die linken, dann die rechten. Dann spricht sie, leise, mit niemand Bestimmtem. Dann schweigt sie. „Wie kommt dieser Typ dazu?“, denkt sie. Dann spricht sie wieder: „Immerhin hat mal einer gesagt, was er denkt“. Dann schweigt sie. „Immerhin“, denkt sie. „Ob ich mir die Fußnägel schneide?“
Elke rollt sich zusammen und zieht ihre Bettdecke über den Kopf. Sie atmet: ein - aus, ein - aus. Das Dunkel erwärmt sich.
Karl ist ziemlich groß. Er findet sein Name passt nicht zu ihm. „Karl“, das klingt nach Siegfried, nach Drachentöter. Kaum hat sich ein richtiger Siegfried das Blut von der Klinge gewaschen, hält er schon Ausschau nach dem nächsten Drachen. „Eigentlich schade“, denkt Karl, „Ich muss nicht ganz bei Trost gewesen sein.“
Ich habe eine Krake auf dem Magen
Ich habe eine Krake auf dem Magen. Nicht, dass sie mich stört oder ich fortwährend an sie denken muss, nein. Es ist nur eben ungewöhnlich.
Urlauber gruseln sich, wenn sie ein solches Tier einmal zu Gesicht bekommen. Sind sie in einer kleinen Hafenstadt im Süden zufällig in der Nähe, wenn eines der Fischerboote entladen wird, dann treten sie näher und gaffen. Manchmal ist eine Krake dabei. Die Urlauber stellen einen Fuß vor und beugen sich über den Korb, aus dem die immerlebendige Krake zu entkommen versucht. Sie recken ihre Hälse, als sei es die Grasnarbe einer Steilküste, auf der sie stünden, und blicken auf das sich windende Tier, als schauten sie hinab auf die Brandung, die weit unter ihnen gegen die Felsen rollt.
Ich kann mich nicht entsinnen, seit wann ich die Krake auf dem Magen habe. Doch ich glaube nicht, dass sie mich aus einem Korb heraus angesprungen hat. Vielleicht habe ich sie sogar selbst auf meinen Magen gesetzt. Wie es war, bevor das Tier dort saß, habe ich vergessen.
Bisweilen ewähne ich in Gesprächen eine Krake, immer jedoch so vorsichtig, dass der Betreffende sie sich fernab, in klarer, dunkler Meerestiefe vorstellen muss. Jedes Mal, wenn ich wage, das Wort auszusprechen, glaube ich zu sehen, dass sich der Mund meines Zuhörers zusammenzieht. Inzwischen habe ich gelernt, das Thema zu meiden. Sicher, ich dachte auch schon daran, aufs Ganze zu gehen: „Ich habe eine Krake auf dem Magen“, könnte ich sagen. Das ist ein einfacher Satz und ich könnte ihn lächelnd dahersagen, so wie jeden anderen Satz auch. Was würde dann geschehen? Ich unterhielt mich einmal mit einem lang aufgeschossenen Kerl, der mir erzählte, er habe ein Hausboot. Ich kannte ihn nur flüchtig, und bin ihm seither nicht mehr begegnet. Trotzdem kommt er mir immer wieder in den Sinn, und ich versuche mir vorzustellen, wie es wohl ist, ein Hausboot zu haben.
Im Aquarium kletterte die Krake, die dort gefangen gehalten wird, an der Innenseite der fingerdicken Scheibe entlang und blieb in Höhe meines Magens, dort, wo sie meiner Krake am nächsten war, haften. Ich stand, reglos, einen Schritt vor der Scheibe, und lauschte.
„Echt, schon Halbacht?“
Hinter den Stallungen stieg das Gelände an, obenauf ein Wäldchen. Von einem Setter umspielt kam uns blondlächelnd das Fischweib entgegen. Höchstens zweiundzwanzig und gesund, als habe sie noch bis eben Jauche gerührt. Der Setter war verschwunden, als sie uns erreichte. Ob wir aus Berlin seien, fragte sie. Ich war neidisch - vielleicht wegen der frischen Luft. „Ja“, antwortete ich. Ich schien der Einzige zu sein, der wusste, wie der Hase läuft. Also zeigte ich empor und versuchte, am Himmel die Erde auszumachen, doch es war noch zu hell. Nur der Mond war schon zu sehen. Sie hätte es sowieso nicht verstanden und die anderen wahrscheinlich auch nicht, also tat ich einfach so, als habe ich mich am Kopf kratzen wollen. An mir war es dann, die Fische klar zu machen. Ich kratzte und sie nahm mir die blöden Fragen ab.
„Ihr seht aus, als ob ihr aus Berlin seid“, sagte sie. „Ich studiere Biologie in Berlin.“
Und-jetzt-Semesterferien-und-du-zu-Hause“, faulte es grinsend aus mir hervor.
Neidisch, ja, aber nicht wegen Pappas Fischfarm. Ihre Kindheit: Schweine ärgern, Schulbus, sich nie Gedanken über Sweatshirts machen. Und dann Berlin: ankommen und verstehen wollen. Neid, Neid, Neid.
„Forellen woll'n wa: zwei, drei, viere, ... fünf Stück.“
„Ey, der Dicke will doch eine, sagt er!“
„Na also! Stücker sechs dann. Aber große!“ (Arme ausbreiten, Haifischlänge zeigen: lacht. Au, wie blöd. Trotzdem).
Wir betraten den ehemaligen Stall, durch dessen schmutzgepuderte Fensterchen kaum die halbe Dämmerung drang. Ich flitzte umher zwischen grauen Bassins, gaffte, beugte mich, tauchte Finger in randvolle Becken, auf deren Oberflächen sich hektisch von dunklen Fischrücken wölbten, und versuchte von schräg und oben und wieder von schräg zu erkennen, was sich dort tummelte, doch es war zu dunkel. Sie knipste auch kein Elektrisches an. Vielleicht erschrecken davon die Viecher. Mist.
Sie ergriff einen Kescher und langte in einen stinkenden Sack: „Die ist vom Lande“, dachte ich. Sie warf das Futter aufs Wasser, das sofort aufkochte. Begeisterte Forellen wurden eine Hand breit über die Oberfläche hinausgeschleudert. Ich stand eine Weile nachdenklich im plätschernden Halbdunkel, dann als Forelle in einer Ecke des Bassins, starrte vor mich hin, fror und ignorierte den johlenden Gesang meiner Genossen über mir. Sie sammelte sechs Exemplare in einem Eimer, der einmal eine unappetitliche Menge Mayonnaise enthalten hatte: Putzi, putzi - Na, ihr Dummerchen, wolltet ihr mal wieder die Art erhalten? Die Sechs kratzten zappelnd über den Gussgrat, der aus dem Boden des Plastikeimers hervorragte. Jetzt noch schnell den Tod dosieren, um sich so für die vorherige Gier zu entschuldigen: Sowas kann ich leiden. Wie stand es noch gleich mit Kreide auf die Bahnwagons gekritzelt: „Auf Wiedersehen in drei Wochen in Paris!“? Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Selber schuld.
Schweigend folgten wir dem applaudierenden Eimer in einen anderen Raum. Einsame Insel, Fischweib - gäbe sicher eine interessante Zivilisation.
Sie wetzte ein Messer, streifte Gummihandschuhe über, grabschte sich eine Dreieinigkeit und zerlegte sie in Kopf, Rumpf und Eingeweide. Der Fischkopf rebellierte und blies getreu zur Flucht. Die Order erreichte den ausgeweideten Rumpf erst, als dieser bereits in einem Korb lag. Von dort vollführte der schmackhafte Muskel einen finalen Sprung, der ihn ein gutes Stück über den Rand des Korbes in die Höhe beförderte. Dem Gesetz der Schwerkraft gehorchend klatschte er zurück und starb. Kopf und Eingeweide hatten wohl schon zuvor den Geist aufgegeben. Während das Fischweib die verbleibenden Fünf drittelte, betrachtete ich die anwachsenden Haufen zitternder, japsender und sich leise windender Einzelteile. Alles Lebendige zeugt, gebiert und verfault, stieß es mir auf. Also fügte ich die drei Komponenten wieder zu einem funktionierenden Fisch zusammen. Ich streichelte die Kreatur liebevoll und setzte sie in einem ganz tollen See aus. Dann wischte ich meine vom Forellenschleim schmierigen Hände an meiner Hose ab und ordnete mein Haar. Die Schöpfung der Forelle hatte mich angestrengt. Ich kramte eine Weile nach dem Hustenbonbon, das während jener Tage in meinen Taschen herumgeisterte und brach das Schweigen: „Find' ich echt gut, dass der Geist Gottes auf dem Wasser schwebt“, sagte ich. Man trat verlegen von einem Fuß auf den anderen, der Dicke nickte zustimmend, andere brummten. Nur das schweigende Fischweib grub mit dem Messer dort zwischen den Gräten, wo einst eine Schwimmblase war.
Die Lächsin hat den Ozean verlassen, ist flussaufwärts geschwommen, sie hat ein Stauwehr übersprungen und hölzerne Brücken unterquert. Sie windet sich die Mäander empor, die das Flüsschen blaugrün in sein Bett schreibt. Ihre Haut ist aufgeschürft. Sie will ihre Eier ablegen.
Wasser fließt, weil die Erde es anzieht. Auch auf die Lächsin wirkt diese Kraft. Je weiter sie gegen den Strom vorankommt, desto höher erhebt sie sich. Sie will ihre Eier ablegen. Ihr Leben geht dem Ende zu.
Es ist Nacht. Der Mond spricht. Langsam fällt sein Licht auf die vom Wasser umspülten Steine.
„Lächsin,“ spricht er, „bleib ruhig. Du hast Zeit.“
Der Mond lügt. Gleichmäßig leuchtet er alle Dinge an. Er tut, als sei ihm alles egal, in Wahrheit aber durchdringt sein fahler Schein den Weltraum nur für diesen Fisch. „Noch nie habe ich etwas so Aufregendes erlebt“, spricht er, so leise, dass niemand ihn hören kann. Er hat solches schon erlebt, doch will er sich nicht daran erinnern. Sein Licht ist zauberhaft, denn es fällt auf die Lächsin.
Sie weiß nicht, dass sie sterben wird, denn sie weiß nichts. Ihre Seele wird auf den Laich übergehen, den sie in sich trägt. Bald wird sie ihre Eier ablegen, dort, wo der Bach nur noch so tief ist wie eine Hand breit.
X.) Die kleinen Lachse werden ziellos umherpaddeln. Sie werden sich in alle Richtungen ausbreiten. Einige werden den Ozean erreichen, und einige von diesen wiederum werden als reife Lachse zurückkehren, um zu laichen.
Y.) Die Lächsin unterscheidet nicht zwischen Schmerz und Wohlbefinden. Sie besteht aus ihrem Körper und aus dem Willen, so weit bachaufwärts wie möglich zu laichen. Sie kann sich nicht von ihrem Leid befreien. In keinem Moment der ihr verbleibenden Existenz besteht die Möglichkeit, dass sie eine andere Verhaltensweise zeigen wird, als die, bachaufwärts zu schwimmen und abzulaichen. Selbst wenn man sie einfinge, würde sie es weiter versuchen. Sie gleicht einem abgefeuerten Torpedo: Sie ist im höchsten Maße uneinsichtig. Im Gegensatz zum Torpedo jedoch wird sie sich fortpflanzen. In ihr sind die kleinen Lachse, die heranwachsen, um sich im Laufe ihres Lebens über ihr Fischsein zu erheben. Und sollten sie es nicht tun, so werden es ihre Nachfahren oder die Nachfahren ihrer Nachfahren tun. In der Lächsin ist der Zauber. Hat sie abgelaicht, so ist sie tot. Für eine Weile schlägt vielleicht noch ihr Herz, doch sie ist bereits seelenlos wie ein Stein. Der Zauber ist aus ihr gewichen.
Ihre Seele wird innerhalb ihrer glänzenden Haut hin und hergeworfen. Sie hat keine Masse, nur Geschwindigkeit. Wenn sie ihre Eier abgelegt hat, so ist darin die Seele. Diese ist reglos und wird sich erst entfalten. Sie hat nur Masse, keine Geschwindigkeit. Was der Urzustand von Seele war, weiß niemand.
Die Lächsin umschwimmt einen Stein, der ihr im Weg liegt. Sie reagiert nicht mehr auf den Frosch, der leichte Beute für sie wäre. Sie kennt keinen Mond.
Der Mond sieht den Fisch und er sieht sich selbst: Lächsin und Mond. Er ist ein Trabant. Zwar täuscht er sich in ihr, doch er nimmt sie wahr. Er spricht: „Was tut sie? Will sie zu mir? Mein Licht muss sie bezaubert haben.“
Lächsin und Mond
Sich fortpflanzen Tun, was notwendig ist Dies, und nur dies tun Sagen, was gesagt sein muss Die Idee ist zu laichen am günstigsten Ort soweit bachaufwärts wie möglich |
Glauben, nicht sehen Fern und ungestört Welten erstellen Und wenn die Zeichen es nicht mehr erlauben sie aufrecht zu erhalten beleidigt sein, wie ein Kind das nicht länger mit dem Telefon spielen darf |
Die Haut der Lächsin ist aufgeschürft. Sie kämpft sich bachaufwärts. Langsam
fällt das Licht des Mondes auf die vom Wasser umspülten Steine.
„Lächsin,“ spricht er, „bleib ruhig. Du hast Zeit.“
Er träumt, und er lügt, und er weiß es. Dem Fisch aber wachsen Flügel. Er schwebt aus dem Wasser, er durchschwimmt den Raum an Sternen vorbei und singt laut und schön.
Zwei Seemänner sitzen in Barcelona und essen einen Albatros
Zwei
Seemänner sitzen in Barcelona und essen einen Albatros. Kaum hat der eine
Seemann einen Bissen genommen, steht der andere auf und erschießt ihn.
Warum?
Ein Rätsel.
Damals blieb etwas vom Staub aus jener Spelunke an meinem Mantelsaum hängen. Hinten, in einer Ecke, die mehr von grünen und gelben Glühbirnen als vom Tageslicht erhellt wurde, saßen die beiden Matrosen. Sie waren allein im Gastraum. Als ich eintrat, erstarb ihre Unterhaltung, und sie blickten in ihre Gläser. Hinter einer Tür hörte ich Geklapper, so als hantiere jemand mit einer großen Pfanne. Ein traniger Gestank lag in der Luft. Ich weiß nicht mehr, was ich dort eigentlich gewollt hatte, vielleicht telefonieren oder etwas trinken. Doch der Wirt ließ sich nicht blicken, dann der Gestank, die verklemmten Seemänner - ich ging wieder, noch bevor ich eine Minute gegen den Tresen gelehnt hatte. Damals wusste ich nichts von diesem Rätsel.
Es war nördlich von St. Anthony auf Neufundland, wo sich die Straße von Belle Isle in den Atlantik öffnet und wo bisweilen ein Trawler, der zu den Fanggründen in der Labradorsee unterwegs ist, mit einem langen Ton seines Nebelhorns Abschied nimmt. Ich konnte nicht genug bekommen von ihrem Anblick. Als würden sie auf den bizarren Längen- und Breitengraden entlanggleiten, mit denen der wirre Menschengeist die Erde überkritzelt hat, flogen sie vorüber und schlugen dabei von Zeit zu Zeit mit den Flügeln, wie aus Höflichkeit der physikalischen, aerodynamischen Welt gegenüber, vielleicht auch nur, um in Ruhe gelassen zu werden. Durchgefroren und spät bin ich zurückgekehrt zu den Männern in den karierten Hemden.
Am Tag darauf sah ich das Foto in einer Zeitung. Jemand übersetzte mir die Meldung. Es gab keine Zeugen. Den getöteten Matrosen hatte man zurück an Bord gebracht. Der andere war noch am Abend hilflos betrunken festgenommen worden. Seine Fingerabdrücke waren identisch mit denen auf der Pistole, die neben dem Tisch gelegen hatte. Ich wusste sofort, dass die Tat für immer ein Rätsel bleiben würde.
Ich will ans Meer. Dort gibt es Fische mit rotunterlaufenen Augen und große weiße Vögel. Der Wind weht immer von See, nicht so wie hier von irgendwo. Ich will ans Meer.
Ich fahre ans Meer und gehe zum Hafen. Im Schleppnetz eines Kutters hängen ein paar Dutzend kleine Fische mit toten Augen. Ich schaue einem Mann in Öljacke zu. Seine groben Hände lesen die weichen Leiber aus dem Garn und werfen sie über Bord. Die Möwen stürzen sich darauf, bevor die Beute im Hafenbecken versinkt. Ein kräftiger Wind weht von See her.
Später sitze ich in der Gaststube einer Pension und schreibe auf einen Bierdeckel „Ich will ans Meer“. Dann drehe ich die Pappe um und schreibe „Ich bin am Meer“ auf die Rückseite. Gestern noch war ich ein Klumpen. Heute dagegen bin ich am Meer. Ich bin wieder dazu in der Lage einen vollständigen Satz auf einen Bierdeckel zu schreiben. Es heißt, es bestünde ein Kräfteverhältnis zwischen Elektronen und Protonen. Es heißt, ohne negative und positive Ladungen fiele das Atom in sich zusammen. Angeblich weiß man das sogar. Aber aus irgendeiner nie betretenen, dunklen Höhlung meines Schädels muss doch dieses Echo gekommen sein: Ich will ans Meer.
Beschriften - ich beschrifte einen Bierdeckel. „Ich will ans Meer“, handschriftlich. „Astra Pils“, druckschriftlich. Das heißt gedruckt - handgeschriftet. Zu Besserem reicht es heute nicht. Es ist schön, am Meer zu sein.
Die Besitzerin der Pension, die mir mein Frühstücksei bringt, fragt mich, ob das Ei so gekocht sei, wie ich es mag. Sie versucht nicht, mich in ein Gespräch zu verwickeln. Ob ich Ingenieur oder Türsteher einer Homobar bin, scheint sie nicht zu interessieren. Ich lasse mir nicht anmerken, dass ich der Konsistenz von Frühstückseiern gegenüber mit den Jahren vollkommen gleichgültig geworden bin. „Ja, Frau Jansen, das Ei ist vortrefflich so.“
„Limehouse“ - ich finde es in meinem Mund, ich spreche es aus. Es antwortet, wir schütteln uns die Hände, gehen nebeneinanderher, Limehouse bietet mir ein Kaugummi an und kalauert. Ist es dieser „au“-Laut in „house“, der es so unwiderstehlich macht? Limehouse ruft mich zu sich, wir spazieren den Strand entlang und blödeln. Limehouse brüllt mich an. Dann, als auf jede Frage „Limehouse?“ längst unweigerlich „Limehouse!“ die Antwort war und ein jeder nasse Füße hat, fällt mir auf, dass es etwas bedeuten könnte. Es könnte zum Beispiel der Name des alten Chinesenviertels von London sein. Das ist gut, denke ich, das ist wichtig: In Limehouse liegt der Schlüssel. Und an mir ist es, diesen Schlüssel zu finden. Ihn zu suchen, in den Gassen, in denen das ranzige Odeur der zu drei Viertel verbrannten Pekingenten längst die Mauersteine der Häuser durchtränkt hat, im Gewirr, wo einem aus dunklen und schmierigen Winkeln Holzwolle und Pappkartons und leere 1-Gallonen-Kanister Speiseöl entgegenquellen, oder in einem der Krämerläden, wo auf jedem Artikel, vom Stockfisch bis zur Schachtel Reißzwecken, ein kleines Etikett klebt, das dem Fremdling in falschem Englisch, höflich, doch leider erfolglos, den Inhalt der Abpackung klar zu machen versucht. Ja, unter einem der geschwärzten Ladentische, von den Schlitzaugen behütet und betuschelt, liegt er, dieser für mich so wertvolle Schlüssel. Ich werde dorthin gehen und fragen, in meinem besten Limehouse - und sei das nun ein Dialekt oder ein Herrenanzug, egal -, ich weiß schon jetzt, dass die Antwort immer gleich ausfallen wird: „Nein mein Hell, hiel nicht, tut mil leid.“ - Das ist Limehouse.
Ich gehe gern auf Fußballplätze. Herumgehen oder auch purzeln. Man kann sich vorstellen, ein Vogel zu sein oder eine K-Schale und weiterlaufen. Sonst kommt man ja nicht dazu. Man kann sich auch etwas vornehmen, zum Beispiel Geigenunterricht, aber dann ist es nur noch halb so schön. Zum Glück gibt es ja diesen Strich in der Mitte. Wenn man sich zu viel vornimmt, ist es gar nicht mehr schön. Zum Beispiel, wenn man den Strich zu sehr beachtet oder wenn man für einen Augenblick so tut als ob. Dann geschieht nichts. Dann läuft man auf und ab, denkt sich alles Mögliche und merkt von alledem nichts.
Ich nehme manchmal eine Stange mit. Das macht keinen Unterschied. Es hilft auch nicht. Trotzdem nehme ich sie manchmal mit. Eigentlich brauche ich die Stange nicht, obwohl es eine sehr schöne Stange ist. - Einen gewissen Unterschied macht es doch, und wenn ich länger darüber nachdenke ..., aber das tue ich nicht. Es ist eine Maßstange. Sagte ich das? Sei's drum.
Eigentlich bin ich für alles zu haben: Suggestivkräfte zum Beispiel begeistern, ja, berauschen mich geradezu. Surrogate auch. Für zwei, drei Minuten bin ich dann wie von einem blaugrauen Schleier verwehrt, und ich brause zwischen Federn dahin, bis ich schließlich wieder Land sehe, wieder weiß, was oben und wo unten ist. Dann bin ich daheim, daheim bei Herd und Scholle. Dann ist es da, das Gefühl; dann weiß ich, jetzt und hier liege ich genau genommen wieder einmal richtig.
Als gebe es nicht genug zu tun: Jährlich, ach, bald jede Sekunde untermauern Reißbrett-Täter ihre Aussagen, verdonnert irgendein Martin irgendeinen Fabian zum Resteverputzen, vergessen Tausende von eingefleischten Liebhabern den Sinn und Zweck ihrer Aufmachung und lassen sich treiben, bis nichts, aber auch rein gar nichts mehr vom ursprünglichen Ablauf, von jener vielzitierten Mitwegslosigkeit der ersten Stunde zu verspüren ist. Da dürfen nicht viele Worte fallen. Da muss man sich, salopp gesagt, auf die Socken machen: Denn genau genommen geht uns das alle an. Zumindest das dürfte ja inzwischen wohl klar sein.
Die Erinnerung an mein Mädchen ist nun, da sie gerade eine Woche fort ist, schon so verwaschen wie ein Paar jahrzehntealte 501er aus irgendeinem Schöneberger Second-Hand Laden.
Anders dagegen die Erinnerung an die zugefrorene Alster, gleich vor der Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika. Damals war es Sommer, oder es war Frühjahr oder Herbst. Natürlich gab es kein Eis auf der Alster. Es gab Schwäne und Ruderboote, aber papperlapapp!
Heute ist Eis auf der Alster: Zum Ufer schiebt es sich in Schollen übereinander; wohlgemerkt, ohne dabei das schneebepuderte Reet zu knicken, denn das gehört dorthin, so wie die pelzige Witwe, die die Promenade entlangirrt. Die Kufen meiner Schlittschuhe gleiten über das Eis, draußen, wo es schwarz und klar ist. Ich lasse das amerikanische Lügengebäude hinter mir, ich lasse dieses und andere Gebäude hinter mir und laufe geradeaus. Es mag manchen befremden und es befremdet offen gestanden auch mich gelegentlich noch, doch es blieb bisher aus, dass ich nach kurzem Geradeauslauf im Schilf des gegenüberliegenden Alsterufers von Uhlenhorst stecken blieb, so wie man es erwarten sollte, wenn man sich auskennt oder einen Stadtplan von Hamburg zur Hand hat. Stattdessen laufe ich weiter, ganz nach Bommerlunder-Manier in den Abend hinein, laufe und laufe und tue es wahrscheinlich noch.
... nicht, weil ich mir wünsche, Kopenhagen oder Stockholm möchten als schimmernde Inseln am Horizont auftauchen, oder weil ich davon träume an Kanadas palmenbewachsenem Strand endlich meine Schlittschuhe abzustreifen und durch geknickte Strohhalme PiÔa Colada in mich einstrømen zu lassen. Nein, alles: Nur bitte das nicht.
Tatsache ist, dass die Alster zugefroren ist. Also laufe ich auf ihr Schlittschuh. - Vielleicht, um der unnatürlichen Blonden eine Freude zu machen, die bei der Bearbeitung eines Visaantrags innehält und durch die Scheiben aus Sicherheitsglas für einen Moment zusieht, wie ich mich auf den Weg mache. - Oder, um dem bibbernden Flamingo vom anderen Ufer zuzurufen „Du bist nicht allein!“. - Oder eben, weil es sonst niemand tut, auf der Alster Schlittschuh laufen. Ich weiß es nicht.
Ich gleite mit der Hand empor und schaffe Platz zwischen willenlos verspannten Schenkeln.
Ich schwebe, ein Punkt, ein lichtloser Stern, einen Finger breit über dem Rand einer Dachrinne. Es ist die klare Nacht, die dem nahenden Winter vorausgeht. Während ich mich langsam auf und ab bewege und dabei in jede Richtung sehe - denn ich bin ein Auge ohne Temperatur -, übertrete ich eine Grenze. Ich übertrete die Grenze und das bereitet Lust. Ich empfinde nicht Kälte, Sehnsucht oder Angst, ich empfinde ausschließlich Lust.
Das Dach, seine Schornsteine, der Mond, das Dach des Hauses gegenüber - dies alles sehe ich, gleichzeitig und scharf. Ich sehe die Pfütze in der Rinne, verklebte Blätter, Schmutz und Taubenfedern, und auf der Pfütze sehe ich das zarte Eis. Es ist der erste Frost.
Dann sehe ich den Bürgersteig. Unten. Die Straße. Über mir die Dachrinne von ihrer Außenseite, gleichmäßig, dachrinnengrau. Trocken, blass beleuchtet vom Widerschein einer Bogenlampe, nicht vom Licht des Mondes. Oberhalb war es der Mond. Oberhalb.
Vor einiger Zeit widerfuhr mir etwas Merkwürdiges. Nun, dieser Satz ist ungeschickt gewählt, denn in dem Wörtchen „merkwürdig“ schwingt ein Moment der Überraschung mit. Eigentlich bin ich damals nicht überrascht worden. Mich hat zwar befremdet, mit welcher Intensität das Ereignis auf mich einstürzte - das will ich gerne zugeben - doch darf man etwas allein seiner unerwartet hohen physischen Wirkungskraft wegen gleich „merkwürdig“ nennen? Vielleicht wäre „lehrreich“ das bessere Wort. Die Intensität des Ereignisses erkläre ich mir damit, dass die Leute auf dem Lande sich vorzugsweise von Bauernbrot, frischem Gemüse und selbst Geschlachtetem ernähren - das hat enormen Einfluss auf die Körperkräfte. Um aber noch einmal auf meinen Eröffnungssatz zurückzukommen: „merkwürdig“ bedeutet „es wert sein, bemerkt zu werden“. In dem Dorfe herrschte damals helle Aufregung. Sieht man das Ereignis weniger aus meiner und mehr aus der Sicht der Dörfler, und bedenkt man, wie wenig Bemerkenswertes an solch einem abgelegenen Ort gemeinhin geschieht, so ist es durchaus treffend, zu behaupten, was sich dort abgespielt hat, sei merkwürdig gewesen. Sicher wird man noch lange darüber sprechen: An klaren Winterabenden werden die Männer des Dorfes sich schwer auf den Stammtisch ihres verräucherten Gasthofs lehnen und das Ereignis debattieren, und auch die Mägde mit den lustigen Zöpfen, die an windigen Herbsttagen die Garben binden, werden nie müde werden, darüber zu schwatzen. Vielleicht spinnt sich, wenn erst das Gestern und Heute zu grauer Vergangenheit zusammengeflossen ist, sogar eine Mär um das Ereignis?
In der Stadt gehen die Leute an einer Blutlache, wie sie mir damals entströmte, vorüber, ohne dem Verursacher des Flecks ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Auf dem Lande hingegen hat man Zeit und Muße, man bleibt stehen und schaut ein Weilchen zu. Übrigens sind die Folgen des Ereignisses, bemerkt zu werden, ganz und gar unwürdig: Ich spreche von den sichtbaren, physischen Folgen. Heute früh habe ich vor dem Spiegel im Bad das letzte Stück hart verkrusteten Schorfs von der Wunde in meinem Gesicht abgeblättert. Seit vor einigen Wochen der Verband abgenommen wurde, verwirrt mein Anblick die vielen gut gelaunten Menschen, denen ich in Empfangshallen, Fahrstühlen und auf Rolltreppen begegne. Die dünne Haut unter dem Schorf hat die Farbe eines von der Sonne ausgeblichenen Marzipanschweins. Mein Spiegelbild bereitet mir Ekel - wie muss es da erst einem Dritten ergehen?
Ärgerlicherweise ist mir auf Grund meiner Bewusstlosigkeit der spannende Teil des Ereignisses entgangen. Zur Bewusstlosigkeit möchte ich anmerken: Es ist ein sehr langweiliger Zustand. Man erwacht ohne konkrete Erinnerungen und ohne das Gefühl, währenddessen irgendwie glücklich gewesen zu sein. Ich war damals zum ersten Mal bewusstlos und habe mir vorgenommen, diesen Geisteszustand künftig aus meinem Leben auszuklammern. Aus der Erinnerung heraus kann ich also nur vom einleitenden Teil des Ereignisses berichten, etwa bis zu dem Moment, als ich, von einem störenden Schmerz im Gesicht beeindruckt, auf den steinernen Fußboden der dörflichen Poststube zufiel. Wie dann vermutet wurde, ich könne, verbluten, wie darüber spekuliert wurde, ob ich schon tot sei, wie man nach dem alten Veterinär rief, der - zum Glück, wie ich meine - nicht auffindbar war, und wie, als die Lache meines Bluts bedenkliche Ausmaße annahm, die Ambulanz bestellt wurde, die schließlich mit Sirenengeheul ins Dorf einfuhr, um so auch den letzten gebrechlichen Ahnen aus seiner Kate zum großen Spektakel aufs Postamt zu rufen, kurz: der ganze Trubel, der herrschte, während ich – salopp - mit dem Tod Schlitten fuhr, ist mir aus Ermangelung an Bewusstsein entgangen. Was ich zu jenem Teil des Ereignisses zu berichten weiß, stammt aus den Protokollen des Prozesses, den ich auf das Ereignis hin angestrengt habe. Die Aussagen der Zeugen und des Angeklagten interessierten mich. Mein Anwalt informierte mich abschließend, dem guten Mann sei aus dem Ereignis eine nicht unerhebliche Haftstrafe erwachsen. Sein Rechtsvertreter hätte zwar zu beweisen versucht, sein Mandant habe aus Notwehr gehandelt, doch sei dieses Unterfangen verständlicherweise erfolglos geblieben. Ich habe meine Aussage in schriftlicher Form eingereicht, denn schon der Gedanke an die Stunden, die man bei einer Gerichtsverhandlung vertut, bereitet mir Kopfschmerz. Gerne hätte ich dem armen Kerl die lästige Verhandlung und die ärgerliche Strafe erspart: War doch im Grunde nicht nur ich sein Opfer geworden, sondern auch er das meine - denn ohne jeden Zweifel hatte ich die kurze Wechselwirkung zwischen uns beiden ausgelöst. Doch leider kann ich es mir nicht leisten, durch Barmherzigkeit aufzufallen - so etwas wird in Geschäftskreisen sofort missverstanden. Vielleicht war es Zufall, dass dieser nun so hart bestrafte Mann in jenen Minuten vor mir stand. Der Zufall war es doch, der mich beim Gedanken an das wundervolle Leben auf dem Lande so beseelt hatte - und war es nicht letztlich auch der allgegenwärtige Zufall, der gerade im entscheidenden Moment so erhebende Gefühle in meiner Brust hatte aufwallen lassen, dass ich mich über alle zwischenmenschlich üblichen Gepflogenheiten hinwegsetzte und mit einer einfachen Handbewegung das Ereignis auslöste? Es war reiner Zufall.
Ich entsinne mich nicht mehr genau an das Geschehen unmittelbar vor dem Ereignis. Ich weiß zu Beispiel nicht mehr, ob sich der Mann nach mir umgedreht hat, als ich die Poststube betrat. Ich vermute allerdings, dass er mich bereits durch das Fenster des Amtszimmers beobachtet hat, als ich meinen Wagen parkte. Mein Wagen ist recht auffällig. Noch während ich auf die Tür der Poststube zuging, denke ich, hat sich der gute Mann ein Bild von mir gemacht. Die Leute auf dem Land sind dem Städtischen mit all seinen Verlockungen und seiner rücksichtslosen Art ganz furchtbar hilflos ausgesetzt. Wohl darf man etwas Obst kaufen, auch eine Briefmarke, wenn man sich aufzuführen weiß, und man bekommt Auskunft, wenn man nach dem Weg fragt, doch nehmen diese Leute einen nicht wirklich in ihren Kreis auf. Dazu fürchten sie sich zu sehr.
Der Mann also, ein einfacher Bauer, vielleicht auch der Schmied des Dorfes, ein stämmiges Mitglied der Gemeinschaft jedenfalls, sah, wie ich aus meinem Cabriolet stieg. Er sah meine Schuhe, meine Söckchen, er sah den Stoff meiner Hosen, schließlich meine ganze Erscheinung, er sah, wie ich die Tür meines Wagens zuwarf und mit wiegendem Schritt die Straße überquerte. Es liegt mir fern, mich in Hypothesen zu vergreifen, doch fast glaube ich zu wissen, dass dieser Mann am Fenster der Poststube einen Kommentar abgegeben hat. Es mag eine kurze, vielleicht auch etwas abfällige Bemerkung gewesen sein, die ihm ohne böse Absicht entfuhr und die doch laut genug war, um von jedem im Postzimmer verstanden zu werden. Der Wind war mir durchs Haar gestrichen, ich war ganz und gar beseelt von der Sonne, die mir ins Gesicht schien, der lauen Luft, die mich bei meiner Fahrt über die Dörfer umweht hatte und der wunderbaren Musik, die aus den Lautsprechern meines Wagens erklungen war. Mit einem Lächeln auf den Lippen war ich in die Poststube getreten und auf den Schalter zugegangen. Ich hatte einen Brief hervorgezogen und mit klarer Stimme nach einem angemessenen Postwertzeichen verlangt. „Hinten anstellen!“, hatte mir der gekrümmte Beamte geantwortet, ohne zu mir aufzusehen. Auf diese rohe Aufforderung hin bemerkte ich erst, dass sich seitlich des Schalters einige Dörfler zu einer Schlange aufreihten. Später hieß es, ich hätte versucht, mich vorzudrängeln. Ich stellte mich brav an, ganz so, wie ich es in alten Filmen gesehen hatte. Das vordere Glied der Schlange bildete eine ältere Dame. Vielleicht ist sie die Gemahlin des Schulzen, dachte ich und wippte auf den Fußspitzen auf und ab. Jedenfalls wagte keiner der Anstehenden, die Dame zurechtzuweisen, als sie mit dem Beamten über nebensächliche, ja persönliche Dinge zu schwatzen begann. Keiner der vor mir stehenden Dörfler empörte sich. Eher schienen sie dem Geplapper der Alten interessiert zu lauschen.
Was damals geschah, ist nicht leicht zu verstehen. Man muss wissen, ich bin ein gefühlvoller Mensch und ich habe es noch nie nötig gehabt, mich zu langweilen. Ich kam aus einer Welt voller Geschwindigkeit, Musik, Licht und Luft, aus einer Welt, mit der ich, noch als ich das Teakholzlenkrad meines Wagens fest umschlossen in das Dorf hineingebraust war, im Duett gesungen hatte. Und aus dieser wunderbaren Welt trat ich in eine düstere Poststube, in der, gelinde gesagt, „nichts“ passierte: Ich hoffe, mein Durst nach Empfindung wird klar. Gerade als ich mich also über die Alte beschweren wollte, fesselte etwas Neues und Starkes meine gesamte, vom vorherigen Naturerlebnis aufs äußerste stimulierte Wahrnehmung: Es waren Härchen. Ja: Härchen, knapp über dem ungebügelten, ich will nicht sagen schmutzigen Kragen eines, ich will nicht sagen abscheulichen, aber doch recht altmodischen Hemds. Härchen im Nacken des Mannes, der vor mir stand. Mein Blick sprang aus der Leere der Poststube zurück: Ein Gefühl löste sich ab, brauste auf, durchfuhr mich von Kopf bis Fuß, stieg empor und jubilierte - diese Härchen, diese Idylle!
Der vom schweren Tagewerk ermattete Bauer kehrt heim und streckt sich aus, auf seinem mit bunten Blumen und Vögelein bemalten Bett. Sein Weib, die gute Bäuerin, tritt aus dem Dampf des Kessels, der in der Mitte des Raumes über der Feuerstelle hängt. Brodelnde Kohlsuppe erfüllt die Luft mit würzigem Duft. Sie geht vorbei an der Schar der herzallerliebsten Kinder, die hungrig mit ihren Holzlöffelchen auf den Tisch trommeln und tritt auf ihren Mann zu, der ausgestreckt daliegt. Und dann, mit ihren vom ständigen Wäschereiben und Gemüseputzen geröteten Fingern, krault sie dem Glücklichen den Nacken - welch daunenweicher Flaum - und er, er brummt wie ein zufriedener Teddybär.
Mickerig, bewachsen von zwei, drei albernen Sträuchern und eben von der dünnlichen Konsistenz aufgeschütteten Mülls oder dem Schutt zerbombter Häuser, jedenfalls total fehl am Platze, ihre Brüste. Sinnlos. Umgrenzt dazu von einem Zaun. Man betritt einen Ort, der den Vergleich mit jedem beliebigen anderen Universum nicht zu scheuen braucht, da sowieso niemand auf die Idee käme, diese halligflachen Kuppen mit irgendeinem realen oder imaginären Etwas zu vergleichen. Ich trat schnellen Schrittes durch die Pforte, dabei streifte mein Mantel ein Schild. Sie flüsterte, ich kleine Sau dürfe die Grünanlagen nicht betreten, ich solle verdammt nochmal auf den Spazierwegen bleiben und meinen Hund habe ich gefälligst an der Leine zu führen.
Ich hielt mich nicht auf, denn mir war heiß. Ich stand auf dem Kiesweg, der zu ihr hinaufführte, und starrte in den kaffeedünnen Asphalt links und rechts, aus dem Dotterblumen hervorwuchsen. Ich kniete nieder, lehnte mich über die Formsteine, die den lachsfarbenen Weg einfassten, und beugte mich vor, weit vor, tief hinein in den Dunst. Als ich meine zur Schale gewölbten Hände in die Suppe tauchen wollte, warf sie mir einen Ast zwischen die Beine; es schmerzte. Ich kippte über und fiel, doch ich fiel weich, so als sei sie schneebedeckt - dabei war sie kahl. Als ich auftauchte, schnappte ich nach Luft und glaubte meinem Spiegelbild entgegenzurudern. Wir kauten gemeinsam auf Kieseln, dumpf klickerten die Steine gegen unsere Zähne. Schließlich schoben wir den sandigen Quark vom einem in die andere. Selbst ihre Lippen waren Asphalt. Ich hätte sie gerne geschluckt, doch sie fing an zu quieken und schlug mir mit der Bürste in den Nacken. Ich knirschte mit den Zähnen, um sie glauben zu machen das gefiele mir, denn ich wollte, dass sie damit aufhört. Doch dann musste ich gähnen und sie grinste: also nahm ich brav meine Brille ab und sie schlug mir mit der Bürste ins Gesicht, so wie zuvor, nur eben weniger leidenschaftlich. Schon besser, dachte ich. Schließlich hatte ich auch davon genug und packte sie am Arm, worauf sie die Augen öffnete und zu schreien anfing. Einen Moment zögerte ich, doch dann trafen sich unsere gelangweilten Blicke. Eilig faltete ich sie zusammen, trug sie zum Schreibtisch hinüber, knipste das Licht an und striegelte ihr im Stehen den Arsch. Ich ließ mir Zeit: Ich schrubbte, bürstete und scheitelte ihr den Arsch. Zwar ohne jede Begeisterung, aber vielleicht gerade deshalb so pflichtbewusst und preußisch, ondulierte ich ihr waldiges Hinterteil, bis am ganzen Körper rosa Federn aus ihr hervorsprossen und sie mit fettig gurgelnder Stimme übers Tal krähte. Dann ließ ich mich fallen: kaum der Rede wert, dachte ich und wurde fortgespült. Ich trieb noch wochen-, ach, monatelang ab, bis ich sie wiedertraf.
Adam befand sich in einem großen Raum. Es war still. Er blickte sich um. Hinter ihm erstreckten sich, durch ein hölzernes Geländer vom übrigen Raum abgegrenzt, einige Reihen leerer Sitzbänke. Vor ihm erhob sich eine hüfthohe Bühne, auf deren Mitte ein Tisch und ein Stuhl platziert waren. Es roch nach Staub und nach altem Holz. Adam war allein. Er stand in dem offenen Bereich zwischen den Sitzreihen und der Bühne und ließ die Arme herabhängen.
Wo war er hergekommen? Adam versuchte, sich an irgendetwas zu erinnern, doch es gelang ihm nicht: - Sie hatten ein enormes Feuer angezündet am Strand. Damals war er noch ein Junge. Das wusste er noch. - Das Pärchen in der Ecke des Fahrstuhls, das sich durch ihn nicht hatte stören lassen. Das kann nur wenige Tage her sein, dachte Adam und strich sich übers Gesicht. Er war in eine einfache Kluft gekleidet, die er nie zuvor gesehen hatte. Seine nackten Füße standen auf einer ausgetretenen Stelle des Parketts. Vor ihm rieselte etwas herab. Adam wischte sich mit dem Ärmel des Hemdes über die Stirn: Der rote Staub, der in dem groben Gewebe haften blieb, schien farbige Kreide zu sein. Adam blickte auf und erkannte, dass die Stelle, an der er stand, dem Stuhl auf der Bühne genau gegenüberlag.
Eine Tür wurde aufgestoßen. Adam schloss die Augen. „Das ist der Richter“ dachte er. „Dieses Wesen jagt mir keine Angst ein“, redete er sich zu. Als er die Augen öffnete, war alles so wie zuvor. „Das ist der Richter“, dachte Adam und ihn fröstelte.
Die Haut des Richters war blau. An manchen Körperstellen leuchtete sie, in anderen Regionen war sie dunkel und schien verbrannt oder verfault. Schwarzer Schorf bedeckte seine vier Beine. Über Kopf und Rumpf verteilt glänzten goldene Metallplatten. Die Bleche waren untereinander mit feingliedrigen Ketten verspannt, die in die welke Haut einschnitten. Das Gewirr glich einem unsinnigen Zaumzeug, das dem Richter vor langer Zeit angelegt worden war und das ihn seither behinderte. Sein großer Kopf ging in einen mit Saugnäpfen besetzten Rüssel über, der zur Spitze hin dünn auslief. Ein ellipsenförmiges Blech auf seiner Stirn kontrastierte mit der Farbe der Haut, die an dieser Stelle besonders intensiv war und mehrfach, als Adam sich auf eine andere Einzelheit des Richters zu konzentrieren versuchte, fand er seinen Blick zurückgezogen auf die flirrende Korona der Ellipse, an der Gold und Blau ineinander flossen.
Der Richter erreichte den Stuhl und setzte sich. Adam sah die Kreatur jetzt von vorn. Der Kopf war überraschend schmal. Die kleinen Augen traten seitlich hervor, die Pupillen zitterten. Der Richter neigte den Kopf, bis das Blech auf seiner Stirn direkt auf Adam zeigte.
Er hatte nach der Tür sehen wollen, doch sofort sprang sein Blick zurück auf den Rand der Ellipse: als wäre in dem Augenblick, als er fortschaute, am Platz des Richters ein Blitz aufgeleuchtet, pulsierte jetzt in seinem Augenwinkel das Trugbild eines bizarren orangefarbenen Schleiers. Verwirrt sprang Adams Aufmerksamkeit zwischen dem sich umstülpenden Nebel und dem seltsam schimmernden Rand des Blechs hin und her. Dann kreischten Zahnräder eines berstenden Getriebes übereinander, und lange Zeit glaubte Adam, einen ungeheueren Buddha anzuschielen. Zeit verging, bis er den Richter wiedererkannte, der unbewegt vor ihm saß.
Mit einem Geräusch, als schlüge man mit der flachen Hand auf eine frei hängende Zeitungsseite, schnellten die Ohren des Richters vor. Sie waren an ihrem oberen Rand fleischig, nach unten hin zerfranst und verrottet, wie die flatternde Fock eines Wracks. Er gab ein schmatzendes Geräusch von sich und begann mit dem Kopf zu wackeln - erst in kurzen, schnell aufeinander folgenden Zuckungen, dann zunehmend ausladender und langsamer. Plötzlich warf er sich zurück. Seine Ohren vibrierten wie die Flügel einer Motte und erzeugten ein papiernes Rascheln. Ruckartig legte der Richter die Ohren an, riss die Augen auf und verdrehte sie, bis die Pupillen unter dem Rand seiner Lider verschwunden waren. In die Stille hinein entfuhr ihm ein Laut, der wie das Signal eines Welpen klang, das durch Holzwolle oder trockenes Gras dringt. Gleich darauf durchstach ein gellender Pfiff den Saal. Mit insektenhaften Bewegungen seines Rüssels beförderte der Richter eine Reihe Gegenstände unter dem Tisch hervor. Der Pfiff brach ab. Adam hatte die Handflächen auf seine Ohren gepresst. Jetzt tastete der Rüssel über den Tisch, bis er ein zur Hälfte mit einer schwarzen Substanz gefülltes Glas erreicht hatte. Die Rüsselspitze glitt in die sirupartige Masse hinein, der Richter führte sie seinem Maul zu und schleckte sie ab. Neben dem Glas sah Adam einen schneeweißen Gegenstand, den er nicht kannte. Auf einem Blatt Papier lag eine Pistole. Ein angenehmes Schwindelgefühl stieg in Adam auf. Lange, fast verliebt, starrte er auf die kleine Öffnung am stumpfen Anfang der Waffe.
Der Richter herrschte ihn an: „Ihr Name? Antworten Sie, wenn ich mit Ihnen spreche!“ Er sprach hektisch und die Stimme klang künstlich. „Sie stehen hier vor Gericht, ist Ihnen das klar? Haben Sie mich verstanden?“ Adam holte Luft. „Ihr Name! Ich will Ihren Namen wissen! Wird's bald! Sagen Sie mir Ihren Namen! Vor- und Zunamen? Los! Machen Sie den Mund auf und reden Sie!“ Die Stimme des Richters überschlug sich. „Wenn Sie mir nicht sofort Ihren Namen sagen - ich will Ihren Namen hören!“ Auf seinen Rüssel gestützt lehnte er sich Adam entgegen. Die Stimme verfremdete sich zu einem beißenden Krächzen. Wieder presste Adam die Hände auf seine Ohren. Dumpf vernahm er das unverständliche Schnarren. Dann wurde die Stimme wieder leiser. „Im Namen des Gerichts fordere ich Sie auf, mir Ihren Namen zu nennen.“ jammerte der Richter. Bald winselte er: „Ihr Name? Bitte, Ihr Name?“ Adam atmete aus.
„Adam Adamson“, antwortete Adam. Überrascht hob der Richter den Kopf. Dann lehnte er sich umständlich über das Papier, auf dem die Pistole lag. Dicht über dem Blatt zuckte die Pupille einige Male hektisch hin und her. „Wir sind hier heute zusammengekommen, um dich, Adam Adamson, zum Tode zu verurteilen und auch zur lebenslangen Aberkennung deiner unbürgerlichen Unrechte“, verkündete der Richter in feierlichem Ton. Kaum hatte er gesprochen, griff sein Rüssel nach dem weißen Gegenstand und schlug ihn mit aller Gewalt auf den Tisch. Die harten Bruchstücke verspritzten bis in den hinteren Teil des Saals. Wieder und wieder klang der Satz in Adams Ohren. Indem der Richter mit dem Hammerstiel auf das Parkett zeigte, brüllte er: „Wo ist es? Wo ist das Ei? Heb' es auf und gib es her, du Lump!“. Lautlos wiederholte Adam den Urteilsspruch. Er starrte den Richter an. „Kraft meiner richterlichen Befugnis als Richter befehle ich Euch, mir das gelbe Ei aufzuheben und es hier hinzulegen“, schrie der Richter, erhob seinen Rüssel, mit dem er den Überrest des weißen Hammers umschlungen hielt, und hieb den Stiel, als sei es ein Dolch, vor sich in den Tisch. Der Stab glitt von der Platte ab und fiel Adam vor die Füße. „Los, los!“, brüllte er, sein Rüssel schlug wütend auf den Tisch. „Es muss hier liegen, das Ei. Her mit dem Ei!“
Adam musste plötzlich lächeln. Dann blickte er zu Boden. Eine gelbe Kapsel, etwa so groß wie ein Golfball, war vor ihm auf den Fußboden gefallen. Sie musste im Kopf des weißen Hammers eingeschlossen gewesen sein. Adam kannte den Gegenstand. Es war die gelbe Plastikkapsel aus einem Kinderschokolade-Überraschungs-Ei. Er bückte sich und hob sie auf. Die Überraschung war noch drinnen. Der Richter schrie und fauchte; sein Kopf schlug mit wilden Bewegungen seitwärts auf die Tischplatte. Adam steckte das Ei in die Tasche. Er sprang über das hölzerne Geländer, balancierte über die Sitzbänke hinweg und verließ den Saal durch eine der hinteren Türen.
Nashörner: Keines ist wie das andere. Sie unterscheiden sich zum Teil durch ihre Füße, einige lackieren sich die Nägel, andere tragen Mützen. Ich habe einige Erfahrung mit diesen seltsamen Tieren. Allen gemein ist, abgesehen vom Horn, ihr dickes Fell. Nashörner haben ein sehr dickes Fell. An einem Fußgängerüberweg am Yukon hielt einmal ein Nashorn den Verkehr an, und gab ihn erst wieder frei, als ich die Straße überquert hatte, und das, obwohl weit und breit kein Auto in Sicht war. Damals wurde mir klar, dass Nashörner ein dickes Fell haben. „Dickes Fell“ - das klingt achtlos dahergesagt, doch so ist es nicht gemeint. Wer einmal näher an ein solches Wesen herantritt - und man glaube mir, das ist viel leichter gesagt als getan -, der wird merken: Da ist nichts. Das Fell der Nashörner ist so weich, dass man es nicht spüren kann; es ist zarter sogar als Luft. Ja, das ganze Tier ist so höflich und gefügig, dass man gut und gerne durch seine Masse hindurchtreten kann und schon steht man auf seiner gegenüberliegenden Seite. Natürlich empfinden diese gewaltigen Tiere das als unangenehm, und untereinander reden sie mit Abscheu von jemandem, der sie ihre Gefügigkeit so deutlich spüren lässt. Nashörner sind recht misstrauisch: Schon der Versuch, eines zu streicheln, kann bedeuten, dass es einem von da an mit Skepsis begegnet. Man sollte mit ihnen keine Experimente machen.
Merkwürdigerweise trifft man sie immer dort an, wo man sie am wenigsten erwartet. Ich war einmal mit meinem Wagen in einen Verkehrsunfall verwickelt, als plötzlich eines neben mir saß. Wir führten ein sehr freundliches Gespräch: Es ging um Rom, glaube ich.
Es kann vorkommen, dass man für ein Nashorn Zuneigung empfindet. Das ist ein wichtiger, aber auch ein gefährlicher Augenblick. Wie ich inzwischen weiß, gibt es dann kein Zurück mehr: Selbstverständlich ist es nicht so, dass sich einem die Zunge verfärbt, und alle Leute, mit denen man sich zu unterhalten gezwungen ist, zu ihren Kindern sagen: „Seht nur, was für eine ungewöhnliche Verfärbung!“, nein. Doch im Stillen denken sie sich ihren Teil.
Vorsehen muss man sich in Fahrstühlen. Dort gibt es selten etwas anderes zu tun, als dem Aufleuchten der Zahlen zu folgen, und hier sind Nashörner gefährlich, weil: Sie sind einfach viel zu groß und schwer.
Die Penetration in B. - ist sie wie ein Besuch in Mekka?
Wie ist Mekka? Marktgeschrei, Turbane, Verkauf von Tontöpfen und, ich glaube, Stickerei. Oder war das Marokko? Dann die lautliche Nähe zu „Mokka“. Davon habe ich eine ziemlich genaue Vorstellung, denn ich trinke ihn gern und häufig, den Mokka. Die Penetration in B. - ist sie wie ein Besuch in Mekka?
„Mekka fasziniert seine Besucher durch seine geheimnisvolle, fassettenreiche Farbigkeit: bald ist es düster wie ein überdachter Basar, in dem das Licht der Öllampen aus vergangenen Jahrhunderten sich im fein polierten Glanz des feilgebotenen Messing spiegelt, bald ist es hell wie Staub, Sonne und Kamele, wie die Trommeln, die den Rhythmus des Orient ...“
Mekka, ein grün-weiß getünchtes Hotelzimmer: Ein Besucher sitzt auf dem Bett und öffnet seinen Koffer. Der Besucher ist kreidebleich. Ihm ist übel, außerdem friert er, obwohl es in Mekka sehr heiß ist. Er klingelt nach dem Hotelboy, beauftragt ihn eine Flasche Wasser zu bringen, stellt den Koffer auf den Tisch und legt sich aufs Bett. Der Junge bringt das Wasser, der Besucher schluckt zwei Aspirin, eilt auf die Toilette und übergibt sich. Er liegt bei herabgelassenen Jalousien im Bett, abwechselnd oder gleichzeitig schlotternd und schweißgebadet. Nach einer knappen Woche fühlt er sich etwas besser. Er packt kurzerhand seine Sachen und reist ab. Niemand wird es ihm zum Vorwurf machen, wenn er auf die Frage, wie es in Mekka denn gewesen sei, die fassettenarme Antwort gibt: „Totale Scheiße!“
Dennoch erinnert er sich an die Zeit in dem Hotelzimmer, und zwei Jahre später erwähnt er in einem Gespräch: „Ich war einmal in Mekka. Ich war krank.“ Mehr sagt er nicht dazu. Mehr fällt ihm dazu auch nicht ein.
Niemand hat mich gebeten, die Penetration in B. zu beschreiben. Ich erinnere mich an eine Eigenart von B. - inzwischen bin ich mir aber nicht mehr so sicher: War es nicht doch eher eine Eigenart von M.? Es ist schon ziemlich lange her. - Eines weiß ich noch bestimmt: Ich bin in B. eingedrungen. Ach ja, danach war ich für ein paar Tage krank.
Der Kadaver war unberührt, doch er hatte sich verändert. Er war zu einem aufgegorenen Ballon angewachsen. Ich überquerte den Platz. Erst als ich direkt davor stand, bemerkte ich den Gestank. Ich spuckte aus und trat gegen einen der Hinterbacken, bis der Leib in Schwingungen geriet. Mit einem Geräusch entwich Gas aus seinem Inneren. Man hätte es sicher anzünden können.
Ich sammelte die unverbrannten Reste unseres letzten Feuers ein. Viel war es nicht. Wenn der große Balken erst richtig brennt, überlegte ich, könnten wir versuchen, die Hufe zu verfeuern. Sicher sind Sehnen und Knorpel bereits aufgelöst, so daß man sie an den Fesselgelenken herauslösen könnte. Es war jedoch unmöglich, sich den Hufen zu nähern, denn Kopf und Körper lagen dem Wind zugewandt. Ich riß am Rand des Platzes trockenes Krautzeug aus. Mich wunderte, daß die Ratten sich nicht am Kadaver gütlich getan hatten. Es gab Ratten. Sie flüchten in die Rohre und waren daher leicht zu fangen. Einer von uns kletterte ihnen gebückt hinterdrein, schrie und schlug von innen gegen die eiserne Wand, während wir mit Steinen und Knüppeln am anderen Ende warteten. Nur einmal ist uns eine entwischt. Es hatten gleich zwei Ratten im Rohr gehockt. Die zweite kam hervor, als wir noch auf die erste einschlugen. Für einen Moment starrte sie mich an, dann verschwand sie unter dem Stapel. Die Ratten klopften wir auf den Rohren breit, wo die Sonne sie ausdörrte. Wenn sie trocken waren, verfeuerten wir sie. Ich fächerte das Kraut über der Asche auf. Inzwischen dürfte der Kadaver selbst für sie giftig sein, dachte ich. Dann kletterte ich auf einen Stapel und streckte mich aus. Der Wind war kühl, doch die Sonne hatte das schwarze Eisen angenehm erwärmt. Lange blickte ich hinab auf den Platz, der von unseren Fußspuren übersät war. Das Maul stand weit offen, die Lippen waren zurückgegangen, die Zunge hing in den Sand. Hier oben merkte man nichts vom Gestank. Ich betrachtete die feinen Linien auf den Innenseiten meiner Hände und stellte mir vor, in einem Hubschrauber zu sitzen. In weiten Schleifen galoppierte sein Schatten über die geschwungenen Täler zwischen den Stapeln hinweg. Ich suchte die anderen. Ich wollte sie sehen. Ich wollte, daß sie unterwegs waren, daß sie kommen würden, doch ich konnte sie nirgends entdecken. Man verlief sich leicht dort draußen. Im Rohr unter mir summte der Wind und ich blinzelte. Aus meiner Position konnte ich erkennen, welche der umliegenden Stapel bereits abgesackt waren. Es wurde Zeit, mich um den großen Balken zu kümmern.
Zuvor wendete ich das Kraut. Es trocknete schnell. Dann holte ich den flachen Stein hervor, den wir zum Graben benutzen, und machte mich an die Arbeit. Ich prüfte einen Stapel, unter dem wir noch nicht gegraben hatten, und wählte einen Balken aus, der nicht zu lang war und auf den noch für eine Weile die Sonne scheinen würde. Man fror leicht im Schatten. Die Rohre an der Basis jedes Stapels lagerten auf langen Balken. Wenn man den Kopf an den Boden legte, konnte man unter den Rohren hindurch schauen. Wir trugen die harte, von Steinen durchsetzte Erde um das Holz herum ab, bis wir den Grund darunter wegkratzen konnten. Manchmal zerbarst das Holz, wenn der Stapel absackte. Lag endlich kein Gewicht mehr darauf, stand einem der größte Teil der Arbeit noch bevor. Man mußte solange weitergraben, bis man den Balken herausziehen konnte. Wir schlugen ihn gegen die Flansche der Rohre oder trieben scharfkantige Steine hinein, bis er auseinandersplitterte. Jedes noch so kleine Stückchen wurde aufgesammelt. Abgesehen vom Kraut und den Ratten waren die Balken unser einziges Brennmaterial.
Alles war vorbereitet, wenn wir das Feuer entfachten. Das Aufflackern der trockenen Blätter fingen wir mit feinen Splittern auf. Erst wenn größere Scheite brannten, öffneten wir den schützenden Wall aus Sand und Steinen und ließen den Wind hineinfahren. Zuletzt kam der große Balken aufs Feuer. Wenn aus den Poren an seinen Enden gelber Dampf zischte, wurde es Abend, und bald stoben Funken in die sternklare Nacht. Unsere Feuer brannten lange. Manchmal knackte es noch am nächsten Morgen in der Kohle.
Sie kamen. Ich hörte in der Ferne, wie sie auf die Rohre schlugen.
Es geschah zum ersten Mal an einem langweiligen Winterabend. Ich war, wie schon oft zuvor, allein ins Kino gegangen – „Der rote Korsar“. Burt Lancaster spielt einen Piraten, der mit nacktem Oberkörper auf dem Achterdeck seines Schiffes umherstolziert und sich überhaupt furchtbar frech aufführt. Ich weiß noch, dass meine Zähne länger wurden und dass meine Ohren sich so ungewohnt pelzig anfühlten. Was dann geschah, daran kann ich mich nicht erinnern. Als ich in der Früh erwachte, lag ich durchgefroren unter einem Gebüsch in der Nähe des Kinos. Meine Hosen und Schuhe waren verschwunden, meine Knie und Hände aufgeschürft.
Mir war, als hätte ich schon einmal von etwas ähnlichem gelesen oder geträumt. Irgendwoher jedenfalls kam mir die Situation bekannt vor.
Seither stelle ich in eine Ecke meines Zimmers eine Schüssel frische Mohrrüben. Zu Hause, so denke ich, würde ich nur ein wenig umherhoppeln und schlimmstenfalls ein paar Käckel auf den Teppich machen. Ärgerlicherweise erwischt es mich aber immer, wenn ich gerade unterwegs bin. Sicher, man hat auch Vorteile so als Hase: Zum Beispiel wird kein Blut vergossen. Einsame Nachtspaziergänger in Stücke zu reißen, muss viel schwerer zu verkraften sein, als eine öffentliche Grünanlage angenagt zu haben. Dennoch, ausgerechnet als Hase? Ich war doch ziemlich deprimiert. Dies um so mehr, als ich bald merken musste: Was mit mir geschieht, ist nicht einmal ungewöhnlich. Inzwischen weiß ich von mehreren Hühnern und einer Maus. Eigentlich ein wohlbeleibter Ministerialangestellter, hat er als Maus ungefähr die Größe eines Dackels. Vor dem sind schon Leute um Hilfe schreiend fortgerannt - so schlecht hat es ihn nicht getroffen.
Ich dagegen: ein gewöhnlicher Hase. Da hocke ich mit ängstlichen Augen und aufgerichteten Löffeln in den städtischen Blumenrabatten. „Sieh nur, was für ein niedlicher Hoppler“, flüstern sich verliebte Pärchen bei Laternenschein zu und zeigen mit dem Finger auf mich. Wer weiß, vielleicht lasse ich mich ja sogar streicheln?
Ein Werwolf ist mir nie begegnet. Diese gehen nur aus richtigen Männern hervor, und die gibt es nur noch in der freien Natur, in den weiten Wäldern, der Steppe oder eben auf hoher See, draußen halt, an der frischen Luft. Hier in der Stadt ist man dafür viel zu weichlich. Doch wie gesagt, es hat auch seine Vorteile.
Weshalb ich allerdings ausgerechnet als Hase...? Ich hatte nie eine besondere Affinität zu Nagern. Als ich ein Junge war, hielten wir uns ein Kaninchen. Ich durfte es manchmal im Wohnzimmer umherlaufen lassen, doch es war scheu, und es wieder einzufangen, war schwierig. Wir hatten es nicht sehr lange. Es starb den Elektrotod, als es an einer Verlängerungsschnur nagte.
Sie war ein überliches Wesen. Nicht als sei es gestern gewesen, erinnere ich mich unsere gemeinsame Zeit, sondern als sei es Gegenwart. Mein Dasein auf den Werften, im Orbit, unter Deck, dann die Zeit im Kerker und als Soldat, und schließlich die rastlosen, öden Jahre, die ich auf Reisen verbracht habe, sind nichts als ein unscheinbarer Dreck zwischen meinem Jetzt und jenen Tagen mit ihr, die eigentlich niemals vergangen sind. Sicher, ich weiß, dass sie längst tausendfach wiedergeboren wurde, wie alle, die uns damals umgaben. Ich weiß, dass sie längst übers Universum zerstäubt ist. - Und dennoch taucht sie immer wieder vor mir auf. Sie war ein überliches Wesen.
Hinter den Falten in ihrem Gesicht hatte die wilde Gier gelauert, in alles zu fahren, was lebendig ist. Ich frage mich, ob ich damals unsterblich wurde: Sie nahm mein Leben und ich wurde an ihrer Stelle unsterblich, wir tauschten. So muss es gewesen sein.
Sie begegnet mir überall: Wenn ich vom Bürgersteig auf den Asphalt trete, denke ich schon an die zu einem erschrockenen Ball zusammengekauerten Kaninchen, deren Atem sich an der kalten Schaufensterscheibe niederschlägt. Sie ist in den Kindern, die ich gebäre, sie ist in der Schwester, die mir meine Suppe bringt. Sie war es auch, die zu Fall kam, als ich dem Dragoner meinen Säbel in die Seite bohrte: „Auf auf, mein Engel! Um die Welt mit dir!“, rief ich, und jubilierend stob ihre Seele in alle Himmelsrichtungen auseinander, als ich ein zweites Mal zustach. Sie ist in allem was lebt, mit einer Ausnahme: In mich fährt sie nicht. Ich bedauere schon längst nicht mehr, dass ich sterbe. Ich bemerke es kaum noch. Ich bin und weiß, was kommen wird. Sie sah mich so traurig an damals, so traurig, wie nur ein überliches Wesen schauen kann.
Der Autor versucht sich vorzustellen, wie es sich anfühlt, zum ersten Mal im Leben eine Leine in die Hand gedrückt zu bekommen, an deren Ende ein lebendiger Hund befestigt ist. Der Autor gesteht, sich nicht an dieses Gefühl zu erinnern, obwohl er es nachweislich empfunden hat. Daraus folgt entweder, dass der Autor ein vergesslicher Mensch ist, oder, dass die Situation keinen nachhaltigen Eindruck hinterlässt. Im letzteren Fall wäre es Zeitverschwendung, darüber zu lesen und Beschäftigungstherapie, darüber zu schreiben. Der Autor ist nicht vergesslich, und darauf verzichten, sich des Themas anzunehmen, wird er auch nicht.
Hier ist ausdrücklich von einem kleinen Jungen die Rede - so die Entscheidung des Autors. „Dazu hat der Autor kein Recht!“, mag der kritische Leser dazwischenrufen. - Nun, der Autor braucht kein Recht. Er ist der Boss und trifft allein die Entscheidungen. Einem besonders hartnäckigen Nörgler könnte es einfallen, dem Autor vorzuwerfen, er nehme sich dieses Recht unrechtmäßigerweise - so etwa lautete die Kernzeile der vermeintlichen Kritik, reduzierte man die Attacke jenes Schwätzers auf das eigentlich Ausgesagte. Es sei unsinnig, hier von Recht zu sprechen, würde der Autor darauf antworten, denn bei dem vorliegenden Text handelt es sich um die Geschichte eines kleinen Jungen, der zum ersten Mal eine Hundeleine in die Hand gedrückt bekommt, und nicht um einen Gesetzestext. Basta!
Der Junge macht eine Erfahrung. Seine bisherigen Erlebnisse mit an Leinen Befestigtem beschränken sich auf hölzerne Enten, Winddrachen und auf das von einem winzigen Benzinmotor angetriebene Modellflugzeug seines Vaters, das ihn, an einer Art Steuerleine befestigt, einige Male lärmend umkreist hatte. Nur wenige Menschen haben je die Gelegenheit, ein solches Modellflugzeug zu steuern. Der Junge gehört zu ihnen. Vergleicht man die drei Gegenstände mit einem lebendigen Hund, so stellt man fest, dass der Hund ihnen in einer Hinsicht überlegen ist: Er ist lebendig. Die hölzerne Ente, der Winddrachen und das Modellflugzeug hingegen gehorchen physikalischen Gesetzen. Bei der Ente kaum ersichtlich, dafür aber bei dem Modellflugzeug in einer Weise, dass man glauben möchte, der Teufel habe sich dessen bemächtigt, bewegen sie sich nur, weil physikalische Kräfte auf sie einwirken. Leider wirken auch auf einen Hund physikalische Kräfte. Zwar sind die Ruhemassen zwischen Hund und Halter meist zu Ungunsten des Hundes verteilt, handelt es sich allerdings um einen mageren Achtjährigen und einen Neufundländer, so ist der Hund im Vorteil.
Dennoch: Der Hund unterscheidet sich grundlegend von der hölzernen Ente, dem Winddrachen und dem Modellflugzeug. Er ist in nicht berechenbarer Weise zielstrebig. Damit unterscheidet er sich letztlich auch vom Modellflugzeug, dem man vielleicht eine gewisse, wenn auch sehr berechenbare Zielstrebigkeit zugestehen könnte. Scheinbar desinteressiert auf einem Fleck verweilende Hunde fallen urplötzlich vorüberfahrende Busse an. Der Autor ist kein Tier-Psychologe und er möchte nicht, dass ein Tier-Psychologe diese Geschichte liest. Er fürchtet ein Tier-Psychologe könnte sie mit einer einfachen Erklärung kaputtmachen. Es kommt vor, dass anscheinend normale Menschen behaupten, auch auf die Pommes gehöre noch Ketschup, obwohl doch die Currywurstbrocken, die gemeinsam mit den Pommes auf einem Pappdeckel serviert wurden, bereits im Ketschup schwimmen. - Auch ein Menschen-Psychologe sollte diese Zeilen nicht lesen. Sollte der Leser unglücklicherweise zu einem Psychologen einer der erwähnten Spezialisationen Kontakt haben, so verbietet ihm der Autor hiermit, dem Seelenklempner von dieser Geschichte zu erzählen.
Man stelle sich also vor, man sei der kleine Junge. Man stelle sich vor, man sei ein Greenhorn, ein Chorknabe, ein Dreikäsehoch, eine Jungfrau: Mit einem Fünkchen Ehrlichkeit und Willen zur Zusammenarbeit sollte das niemandem schwer fallen. Ein Erwachsener kommt und drückt einem eine Hundeleine in die Hand: „Ey Kleena! Hälste ma'n Moment fest, wa!“. Erfüllt von dem natürlichen Bestreben, auf der Welt zurechtzukommen, versucht der Bengel, die Situation zu meistern. Hier noch einmal die Situation: Berlin-Schöneberg, Potsdamer Straße. Ein Knabe hält in der Hand eine Hundeleine, an deren Ende ein Wasserbüffel angeknotet ist, während der Besitzer des Hundes im Kiosk Ecke Pallasstraße gerade ein Päckchen „Ma'boro“ ersteht.
Wie gelingt es dem Jungen mit seiner Aufregung fertig zu werden? - Na, er versucht sich zu beruhigen. - Und wie versucht er sich zu beruhigen? - Na, er sucht im Schatze seiner Erfahrungen nach einer vergleichbaren Situation, und hat er eine solche gefunden, nimmt er an, dass sich das Objekt in der ihm unbekannten Situation (also der Hund), so verhalten wird, wie sich das Objekt in der ihm bekannten Situationen zuvor verhalten hat: Würde er loslaufen, denkt der Junge, bestünde die Möglichkeit, dass der Hund winddrachenartig in die Luft steigt, ihm quietschend folgt oder dass sein Vater, der mit dem Modellflugzeug damals ziemlich viel Arbeit gehabt hatte, ihm zuruft: „He, wo willst du denn hin? Du sollst doch jetzt mal Pilot sein“ (letzteres scheint dem Jungen unwahrscheinlich, denn er weiß, dass sein Vater zu Hause sitzt und an einem Schiff bastelt). Die Alternative, überlegt der Junge, wäre, sich nicht von der Stelle zu rühren. Dazu fallen ihm nur zwei mögliche Folgen ein: Der Hund bleibt, wo er ist, oder er beginnt plötzlich, ihn lärmend zu umkreisen.
Während der kleine Mann noch darüber nachdenkt, wie er sich verhalten soll, nähert sich ein Bus. Es ist der 48er, der zwischen Philharmonie und irgendwelchen einsamen Haltestellen in Zehlendorf verkehrt. In der ersten Reihe des Oberdecks sitzt der Autor. Er schaut aus dem Fenster und grinst. Er grinst, weil er gerade einen Einfall hatte und sich deshalb furchtbar geistreich vorkommt. Während der Bus an der Haltestelle Pallasstraße stoppt, hat der Autor unerwarteterweise noch einen Einfall, den er sich längst nicht so sehnlich gewünscht hat wie den vorausgegangenen. Dieser Einfall fegt das breite Grinsen mit einem Schlag wieder von seinem Gesicht: Er sieht die gertendürre, wachsblasse Amerikanerin - an die sich zu erinnern sein zweiter Einfall war -, er schaut aus dem Fenster und sieht, wie die gertendürre, wachsblasse Amerikanerin aus einer Holzkiste vor einem Gemüseladen ein Gemüse hervornimmt und es begutachtet. Als der Bus wieder anfährt, hat er alles, was ihn bis dahin beschäftigt hat, vergessen. Sein einziger Wunsch ist es, einen jungen Flamingo, der in einem grüngetünchten Badezimmer in der Duschwanne steht, mit Erdnussflips zu füttern. [1]
Für gewöhnlich sitze ich am Boden und sortiere meine Kiesel. Nichts kann mich dabei stören. Wenn aber jemand nichts sagt, spitze ich die Ohren. „War da nicht eben etwas?“, denke ich, „Hat nicht der- oder diejenige gerade eben nichts gesagt?“ Dann kommt es vor, dass ich auf einem Kohlfeld stehe und ein großer, roter Hund freundlich bellend auf mich zuspringt, an mir schnüffelt und wieder fortläuft. So oder so ähnlich ist es wohl. „Vielleicht kommt er noch einmal zurück“, beginne ich zaghaft zu denken, doch schon fragt mich jemand: „Können Sie mir sagen, wie spät es ist?“ oder „Können Sie denn nicht aufpassen?“ oder „Hast du lang gewartet?“ oder „Wie findest du denn den Tapir?“ Was soll ich da antworten? „Prima, ganz ausgezeichnet!“, rufe ich eilig, doch schon im nächsten Moment läuft mir ein kalter Schauder den Rücken herab.
Es gibt Leute, die sind so blöd wie Baustellen: Sie treten an mich heran, machen mir Angebote, adressieren Sendungen an mich, jubeln mir zu, himmeln mich an, ermorden und zerstückeln mich, stoßen auf mein Wohl an und legen ihren angekohlten Socken über die Lehne meines Frühstücksstuhls. Und dann gaffen sie mich an: Sie glauben, nun sei ich am Zuge, und sie scheinen zu erwarten, dass ich ihnen auf die Schulter klopfe oder ihnen einen Goldzahn aus dem Unterkiefer herausbreche.
Andere hingegen sagen nichts: vielleicht lassen sie im Vorübergehen eine Scholle in eine Tasche meines Mantels gleiten oder sie legen einen leer gelöffelten Jogurtbecher in den Spalt zwischen den Steinen, doch sie sagen nichts. Und sollten sie doch etwas sagen, dann tun sie es wenigstens so, dass ich es nicht verstehe.
Im Wohnzimmer steht, auf einem Mahagonisockel, das Skelett seines rechten Beins. Sein Kamerad wickelte das Bein damals in Ölpapier ein und nahm es auf der Flucht vor den Russen mit. In einem Wald kurz vor Berlin vergrub er es. Als die Wunde sich zu einem passablen Stumpf geschlossen hatte, waren sie gemeinsam zu dem Versteck gefahren und hatten das stinkende Bein ausgegraben. Sie reinigten es und setzten es zum Skelett zusammen. Noch heute besucht ihn sein Kamerad regelmäßig. Dann kocht er Tee, stellt Kekse auf den Tisch und später nimmt er den Oberschenkelknochen aus der Halterung. Sie haben das Skelett so zusammenmontiert, dass man den Knochen herausnehmen kann. Dann sitzen sie nebeneinander auf dem Sofa und streichen mit den Händen über die poröse Säule. „So was kann nicht jeder“, sagt einer. Dann schweigen sie und schauen sich für eine Weile nicht an, denn der andere könnte Tränen in den Augen haben.
Manchmal antworte ich. Manchmal fällt mir dabei auf: Das hast du doch schon mal erzählt. Ich lebe in der ständigen Angst, zu vergessen, wem ich welchen Teil meines beschränkten Repertoires an scherzhaften Antworten auf ernstgemeinte Fragen bereits vorgetragen habe.
Mit einem geschickt gesetzten Anekdötchen, mit einem im richtigen Moment zum besten gegebenen Witzlein gelingt es mir, den Eindruck zu erwecken, als hätte ich zu einem Problem eine Meinung. Wer mir zuhört, der glaubt, ich hätte über den betreffenden Gegenstand bereits vor langer Zeit ausgiebig nachgedacht und ihm scheint, ich stünde dem Thema inzwischen so nonchalant gegenüber, dass ich darüber nur noch zu scherzen vermag. Während ich rede, vergleicht derjenige den Bewusstseinsstand, den er bei mir annimmt mit dem eigenen. Dabei überrollt ihn das Gefühl, er habe seine Zeit in trüber Gedankenlosigkeit vertan, er katzbuckelt, er ringt sich zum Ende meines Vortrages ein knöchernes Lächeln ab und wagt es nicht mehr, das Thema erneut anzureißen.
Anders ist es, wenn ich mich wiederhole: Das kommt leider vor. Aus einer anfänglichen Verwirrung meines Gegenübers keimt ein Verdacht, der sich mit jedem Satz, den ich ausspreche, erhärtet, bis schließlich eine Welle der Erkenntnis über alles hinwegfegt, was er bis dato mit mir erlebt und von mir gedacht hat. Sein Pokerface erweckt den Eindruck, als hätte er die von mir zum Vortrag gebrachte Zote, das Sprüchlein, mein Dazu-fällt-mir-ein-Geschichtchen noch nie gehört. Doch er weiß, was kommt. Er erinnert sich. Er braucht nicht einmal mehr zuzuhören: Da stehe ich dann, belämmert, mit der leblosen Pointe auf dem Arm, während er mich anblinzelt, als sei ich das entmutigende Nachmittagslicht eines regnerischen Sonntags, das durch die Gardinen seines Schlafzimmers fällt.
Windig ist es nicht. Das ist wahr. Nein, es ist nicht windig. Ich schwöre bei Gott, dass es nicht windig ist, deshalb friert man nicht, denn so warm ist es hier auch wieder nicht, wohl wärmer als daheim, das möchte ich annehmen, doch es ist nicht windig hier und deshalb friert man nicht. Das ist wahr.
Wir sind gestern an einem Steilkliff hinabgestiegen. Unten angekommen fanden wir eine Grotte im Fels. Das ist nicht wahr. Wir sind nämlich nicht an dem Steilkliff hinabgestiegen. Wir konnten die Klippen zwar sehen, aber es hat in Strömen geregnet, also sind wir eine Weile lang stumm im Wagen sitzen geblieben und haben dann ein Restaurant angesteuert. Ja, wir gehen ständig essen, geben Geld aus, Geld und nochmals Geld. Auch heute werden wir wieder Geld ausgeben. Wir gehen jeden Tag essen.
Ich kann mir gut vorstellen, dass es da unten im Fels eine Grotte gibt. Man müsste nur an dem Steilkliff hinabklettern und lange genug danach suchen. Sicher schwappt bisweilen von draußen eine Welle in die Grotte hinein und huscht über die sonst unbewegte Wasseroberfläche. Ich hätte große Lust, einzutauchen und mit klappernden Zähnen kreuz und quer im Halbdunkel umherzuschwimmen, ja vielleicht sogar mit langen Rückenschwimmzügen hinein ins Ganzdunkel. Tief hinein in die pechschwarze Grotte, in der mein Plätschern ewig zwischen den Wänden hallt. Schwimmend würde ich verschwinden, den Blick zurückgewandt auf die Silhouette von Dick & Doof, die im Gegenlicht des Grotteneingangs mit meinem Handtuch winken.
Daheim stinkt es mich um jede laublose Linde herum an - hier vermisse ich die Hundehaufen. Am meisten stinkt mich an, dass ich, um dies festzustellen, ein bewölktes Europa zu zwei Dritteln durchquert habe. Natürlich erhole ich mich auch ganz prächtig, zum Beispiel gehen wir jeden Tag essen: Paella, Flan, Muschelsuppe. Haben wir alles schon gegessen, jeden Tag. Das Wetter ist prima, überhaupt ist alles prima.
Wir sind hier nach nur sieben Tagen Autofahrt angekommen. Immerhin. Drei Tage vergingen, bis wir den ersten Apfelsinenbaum zu Gesicht bekamen, und weitere vier Tage vergingen, bis wir es aufgaben, weiter aus einer von Touristen überfüllten Gegend in die andere zu flüchten. Jetzt sind wir angekommen. Wir sind jetzt angekommen und das schon seit einigen Tagen. Und es ist fast nicht so windig hier, wie ich es selten für unvermeidlich gehalten hätte. Und von den Engländern, Holländern und Scharen von Deutschen, die man trotz der frühen Jahreszeit hier überall antrifft, haben nur sehr wenige Hunde. Natürlich wachsen hier Palmen. Und Agaven - wo man hinspuckt, geradezu. Palmen und Agaven.
Gestern haben wir Karten gespielt. Vorgestern auch. Wir sitzen in der Hotelbar oder im Frühstücksraum, je nach Tageszeit, denn es ist ein und derselbe Raum, und spielen Maumau. Es ist das denkbar stumpfsinnigste aller Spiele. Es war das einzige, an dessen Regeln wir uns erinnern konnten. Maumau entfaltet seine schwindelerregende, süßlich-pilzige Blüte erst nach einigen Stunden, dann aber ist man mit einem Mal so breit, dass man kaum noch weiß, wer von den beiden herzlichen Idioten, die noch am Tisch sitzen, denn nun der Bube und wer die Dame ist.
Bisweilen brechen wir auf und setzen uns in den Wagen, um einen Spaziergang zu machen. Das Wetter ist ein wenig unbeständig: Es weht ein frischer, in Böen stürmischer Wind aus östlichen Richtungen. Wenn es regnet, vertreiben wir uns die Zeit damit, Karten zu spielen. Ansonsten geht's mir prima.
Ich sage mir: Keiner kann dafür. Wir wären ja doof, uns unseren Urlaub mit albernen Streitigkeiten zu vermiesen. Warum soll ich streiten, wenn ich ebenso gut schweigen kann. Ich habe eine anstrengende Fahrt hinter mir. Wenn ich allein an die Auseinandersetzungen über Autobahnraststätte oder Dorfgasthof denke, ... Ich denke lieber nicht daran. Am schönsten der blaubraune Morgen, ich mit schweren Augenlidern und voller Kaffe, schon diese südlichen Bäume, aber noch unbelaubt, ab und zu ein tautriefender Trecker und die zwei im Fond, die abwechselnd schwiegen und schnarchten.
Hier sitze ich, unter Touristen, auf einem buckligen Blechstuhl, dazu geboren, Urlaub zu machen. Aber ich werde jetzt aufstehen und mit den Armen rudern, bis jemand daherkommt und mir eine Kinderangelrute oder eine karierte Schirmmütze schenkt. Schirmmütze oder Angelrute - drunter tu ich nicht gehen. Oder ich laufe zum Hafen hinab, da finden sie mich nicht. „Wo hast du denn die ganze Zeit gesteckt?“ Sie finden mich - sie finden mich überall, denn sie brauchen mich. Sie brauchen mich, denn ich bin es, der am Strand solange mit Steinen schmeißt, bis alle denken: „Irgendwas stimmt doch nicht mit dem?“ Sie brauchen mich, denn ich bin es, der aus einigen Stunden geselligen Kartenspiels eine Maumau-Tortur macht, nach der man vergisst sein Gehirn an der Rezeption wieder abzuholen. Sie brauchen mich, denn ich bin es, der bei strömendem Regen die schnörklige Küstenstraße entlangsteuert, bis allen, selbst mir, zum Erbrechen übel ist und der schließlich erklärt, dass wir jetzt, an diesen wunderbaren Klippen angekommen, einen Spaziergang machen werden, sicherheitshalber aber ein Handtuch mitnehmen sollten, und ich bin es auch, der daraufhin angesehen wird, als sei er ein Bückling als Christbaumschmuck. Sie brauchen mich. Ich bin unentbehrlich. Ohne mich läuft nichts. Und genau deshalb, aus diesem unerquicklichen Grunde, werde ich auf diesem Stuhl sitzen bleiben, ruhig, so wie ich es gestern getan habe und wie ich es morgen tun werde. Ich werde nicht auffallen, sondern warten, bis sie zurückkommen und mir von dem Windschutz erzählen, den sie schon wieder um Haaresbreite gekauft hätten. Dann wird mir auffallen, dass es heute doch gar nicht so windig ist und ich werde vorschlagen, auch ohne Windschutz zum Strand zu fahren. Dann werden wir zum Strand fahren und dort bleiben, bis wir nass geregnet oder blaugefroren oder beides sind, und dann, und dafür verwette ich mein letztes Paar trockene Socken, gehen wir in einen Dorfgasthof oder meinetwegen auch in eine Autobahnraststätte, um endlich etwas zu essen.
Olaf war von einem Kollegen ein altes Mofa zum Kauf angeboten worden. Es hatte jahrelang in einem Keller gestanden und war, wie jedes Mofa, eine Diva. Gern erklärte ich mich bereit, es in Gang zu bringen. Olaf und der Kollege standen mit offenen Jacken nebeneinander und genossen die Frühlingssonne, während ich tief in der Hocke an den Unterbrecherkontakten schmirgelte. Bald funkte es wieder zwischen den Elektroden der Zündkerze. Etwas Benzin war noch im Tank, und nach einigem Pedalstrampeln sprang der Motor auch an. Jeder fuhr einmal die Straße auf und ab, das Mofa wurde für funktionsfähig befunden und wechselte den Besitzer.
Olaf hatte sich ausgemalt, mithilfe des Mofas bequemer als mit Bus und U-Bahn von einem Ort zum anderen zu gelangen. Zwar rechnete er damit, dass es nicht immer zuverlässig funktionieren würde, genauso aber konnte er sich meiner Freundschaft gewiss sein - wie übrigens auch meiner Leidenschaft, tote Materie, speziell motorisierte Zweiräder, zu bezwingen. Leider machte das Mofa während der folgenden Wochen und Monate entschieden häufiger Schwierigkeiten, als Olaf es befürchtet hatte. Immer wieder musste er mich bitten, es zu reparieren: Ich installierte einen Benzinfilter, tauschte den Gaszug aus, baute neue Zündkontakte ein, ersetzte die Bremsbacken, stellte die Radlager nach, spannte die Kette und brannte den Auspuff aus. Nach jeder Reparatur bewirtete er mich köstlich und ich ließ es mir schmecken. Eines Tages, es war nach dem Einbau einer neuen Zylinderfußdichtung, als ich mir gerade wie immer vor dem Essen über dem Spülbecken in seiner Küche die schmierigen Hände wusch, sagte er, wenn das so weiterginge, würde er in großen Buchstaben Der Antichrist auf den Benzintank pinseln.
Der Sommer war warm und sonnig, ich beseitigte eine Störung nach der anderen. Olaf genoss es, wenn sein Mofa lief und er fluchte, wenn es streikte. Er kreuzte bei Freunden auf, die er jahrelang nicht besucht hatte, und wagte es sogar einige Male, zum Schwimmen an einen entlegenen See hinauszufahren. Inzwischen waren alle verschlissenen und defekten Teile des Mofas ersetzt, und die Abstände zwischen den Reparaturen wurden allmählich größer. Der Herbst kam. Wir standen auf der Straße vor seiner Wohnung, lachten, froren und ich reparierte das Rücklicht. Es war klar, dass keiner von uns vor dem herannahenden Winter kapitulieren würde.
Eines klammen Novemberabends kam er mir entgegengeknattert. Er trug einen grauen Ledermantel. Er habe den Mantel bereits seit Jahren nicht mehr angehabt, das gute Stück habe vergessen in einer Ecke seines Kleiderschranks gehangen und heute erst sei er zufällig darauf gestoßen, berichtete er. Der Mantel war ideal für Fahrten bei Kälte und Feuchtigkeit. Verkehrspolizisten, die im Dunkeln den Verkehr regeln müssen, erklärte ich, trügen ähnliche Mäntel. Allerdings seien sie schon von weitem zu erkennen, da auf die Rückenpartie in fluoreszierenden Lettern das Wort Polizei aufgenäht sei. Vielleicht hatte Olaf selbst schon daran gedacht, dass er in dem Mantel schlecht zu sehen sei. Jedenfalls lachte er und kündigte an, den Schriftzug Blödmann auf seinen Mantel zu kleben.
Es fror. Einmal noch bat er mich um Hilfe - es hatte sich Kondenswasser im Vergaser angesammelt. Er servierte Fisch und einen exzellenten Salat. Noch bis in den nächsten Sommer hinein musste ich immer wieder unvermittelt auflachen, wenn mich in meiner Vorstellung Blödmann auf Antichrist überholte.
Frank hat geheiratet. Nicht in dieser Stadt, nein - denn dann hätte es passieren können, dass Frank und seine Braut einen aus einer Hochzeitskutsche heraus lächelnd mit Bonbons bewerfen - nein, nicht in dieser Stadt hat er geheiratet, sondern in New York. Ich weiß nicht wie viele Eheschließungen die Stadt New York täglich verzeichnet, doch da es eine große Stadt in einem großen Land ist, werden es viele sein.
„Vorgestern erstand der Bankkaufmann Andre S. (21) ein schmuckes Sportcoupé. Gestern früh löste sich auf einer Baustelle in der Markgrafenstraße ein Betonteil aus der Fassade und stürzte vom vierten Stock hinab auf den Wagen. Es entstand erheblicher Sachschaden.“
Sabine ist eine erwachsene Frau. Sie bewohnt ein Einzimmer-Appartement und weiß, wie man ein Postüberweisungsformular ausfüllt. Sie zog vor über einem Jahr in diese Stadt und als sie ihr Zimmer einrichtete, es war ein Sommerabend und die Sonne schien orangerot auf die frisch getünchte Wand, da schob sie ihr Bett schließlich doch ans Fenster. So würde sie Frank beim Einschlafen um ganze vier Meter näher sein. Vier Meter von über fünftausend Kilometern - man muss sich das einmal vorstellen - das ist weniger als das tausendste Teil eines Tausendstels.
Heute hörte sie, dass Frank geheiratet hat. Sabine ist nicht blöd. Sie unterteilt das Leben nicht in die Zeit vor und nach dem Kauf eines schmucken Sportcoupés. Wir saßen alle an einem Tisch und jemand erzählte, Frank habe geheiratet. Klimmzüge sind eine schwere Übung: ich schaffe höchstens einen und Sabine hat dünnere Oberarme als ich, obwohl sie, wie man es so achtlos daherplappert, ein „ziemlich hartes Mädel“ ist. Wir saßen an dem Tisch, Sabine hatte das Gesicht abgewandt und die Tränen purzelten nur so über ihr Kinn. Alle sahen es, dennoch ging die Unterhaltung weiter. Ich sagte bisweilen etwas und schaute manchmal, ob sie noch weint.
Später fiel mir dazu noch der Witz von den zwei Bauarbeitern ein, die vom Gerüst stürzen. Der eine hatte Glück. Er blieb mit einem Auge an einem Nagel hängen.
Es war ein schrecklicher Unfall. Mein Körper flog in hohem Bogen durch die Luft und wurde gegen einen parkenden Wagen geschleudert. Ich war sofort tot. Mein Kopf war gegen die Felge eines der Räder geschlagen, und zwar so heftig, dass er regelrecht aufgeplatzt war. Natürlich war alles mit Blut bespritzt, und das Auto, ein nagelneuer Ford übrigens, war erstaunlich verbeult worden. Die Rettungsmannschaft der Feuerwehr jedenfalls hatte ziemlich viel zu tun. Allerdings bestand ihre Arbeit vor allem darin, aufzuräumen, denn zu retten gab es ja nichts mehr.
Im Großen und Ganzen verlief der Unfall so, wie ich mir ein solches Ereignis noch zu Lebzeiten vorgestellt hatte: Man sieht den Wagen auf sich zurasen, ein heller Lichtblitz im Moment des Aufpralls, das eigene Leben, das in rascher Folge ein letztes Mal vor einem abläuft - es kam alles wie erwartet. Überrascht hat mich etwas anderes: Mein Kopf war ja, wie gesagt, aufgeplatzt. Zu meinem Erstaunen war es aber nicht grauweiße Hirnmasse, die zwischen den Schädeltrümmern hervorquoll und über den Reifen auf den Asphalt hinablief, nein: Es traten wollig-federartige Flausen zu Tage. Mein Vater hatte oft behauptet ich hätte welche im Kopf - und ich muss zugeben, bisweilen selbst gespürt zu haben, dass da etwas dran sein musste -, doch dass es so viele waren, hatte ich nicht für möglich gehalten.
Als die Feuerwehr am Unfallort eintraf, waren die Flausen schon über die Fahrbahn verteilt. Im Sog der vorüberfahrenden Wagen wirbelten sie durcheinander und wurden so weiter und weiter auseinander geweht. Alle anderen Bestandteile meines Körpers wurden fein säuberlich eingesammelt und bald darauf zu einem kümmerlichen Häufchen Asche verbrannt. Eigentlich schade drum, nicht wahr?
Mein Blick ist ein netter Kerl. Meist geht er mir ein Stück voraus, und wenn ich schließlich hinzutrete, hat er den Leuten bereits alles erzählt, was über mich wissenswert ist. Oft schon hat er Sympathie für mich zurückgewonnen, wo ich zuvor alles zerredet hatte, und einzig zu meiner Belustigung riskiert er gelegentlich, in den Tiefen der Ausschnitte nicht hinreichend zugeknöpfter Blusen erwischt zu werden. Mal steht er gelangweilt und kieseltretend am Wegesrand, mal späht er durch ein Fenster, hinter dem der Schein einer roten Laterne brennt, oder aber er rast auf einem Motorrad am Horizont entlang. Er ist ein ziemlicher Spinner. Bei einem Fußballländerspiel stand er einmal plötzlich auf dem Spielfeld herum. Er ist freundlich, dumm, auch arrogant, je nach Bedarf und Laune, aber immer ist er liebenswert. Und er kann Frauen verzaubern. Sie schmelzen geradezu dahin, wenn er sie anschaut.
„Wir sehen uns doch heute Abend?“, fragte ich. Gewiss würden wir uns sehen. Es sollte ein Scherz sein.
„Nun ja, ...“ Ich erschrak. Im Hörer rauschte ihr Atem. „Weißt du, mein Mann ist seit gestern Abend wieder zurück.“... - ... „Also, gut. Wir werden heute Abend gegen später wohl noch in der Bar auftauchen. Du kannst dorthin kommen, tu aber unbedingt so, als würdest du ihn ganz zufällig treffen. Wir beide haben uns noch nie zuvor gesehen! Ist das klar?“... - ... „Na, er würde uns auf der Stelle erschießen. Erst dich, dann mich und zuletzt sich selbst.“
Ich schluckte. Die umgekehrte Reihenfolge schien mir die bessere zu sein.
Es ist nicht meine Art, erschossen zu werden. Wenn ich allein daran denke, wird mir schon übel. Und sollte ihr Mann nach dem Doppelmord an uns wahrhaftig den Mut aufbringen, auch noch sich selbst den Garaus zu machen, würde das bedeuten, dass wir zu Dritt vor eventuellen Himmelspforten warten müssten. Die Einweisung ins Paradies, die Zuteilung der Betten - alles gemeinsam! Möglicherweise würden wir gar in einem Zimmer mit Doppelbett und Schlafcouch einquartiert?
Andererseits ... Sie vergessen? serafina
Sie saßen an einem Tisch, als ich die Bar betrat. Er hielt einen Bierdeckel in den Händen. Ich begrüßte ihn und tat erfreut, ihn nach langer Zeit so zufällig wiederzutreffen. Sie blickte unterdessen schweigend in ihr Glas. Bald nachdem ich mich unaufgefordert gesetzt hatte, revidierte er das Bild von unsympathischer Verschlossenheit, das er sich damals – wohl nicht ganz ohne Grund - von mir gemacht hatte, und überschüttete mich mit der zähen Beschreibung eines sechswöchigen Seminars für angehende Schiffsbauingenieure, von dem er gerade zurückgekehrt war. Unterdessen war mein Blick ein wenig in der Bar umhergegangen. Als er seinen Rundgang beendet hatte, trat er an unseren Tisch. Da sah sie von ihrem Glas auf und schaute meinem Blick in die Augen. Ja, unsere Blicke trafen sich. Der meine legte seine kräftigen Hände um ihres Blickes schlanke Taille, hob sie empor und setzte sie vor sich auf die Tischplatte. Mit gegrätschten Beinen umfing ihr Blick den meinen, beide lachten glücklich, und umarmten einander wie Freunde, die sich einst einen letzten Kanten Brot geteilt hatten.
In diesem Moment erschien mein Verstand in der Bar. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn, wie mein Blick, ist er ein Teil von mir. Auch, dass er verspätet die Szene betritt, ist üblich. Einmal bin ich zusammengeschlagen worden und wälzte mich bereits seit geraumer Zeit am Boden, als er wie zufällig vorbeikam, mich liegen sah und anmerkte, dass ich mir jetzt keine Sorgen mehr zu machen brauche, da die Gefahr offenbar vorüber sei. Er stapfte geradewegs auf unseren Tisch zu. Sein Trenchcoat war wie immer triefnass. Sein Trenchcoat ist immer triefnass, egal ob es draußen regnet oder nicht. Dazu trägt er teure Budapester, die viel zu oft frisch geputzt sind. Er folgt mir, und der unangenehme Hauch von Perversion, der ihm anhaftet, stellt mich bloß, wohin ich auch gehe. Doch muss ich mich mit ihm arrangieren und will zufrieden sein, wenn er mir nicht all zu viele Peinlichkeiten bereitet.
„Na! Da schau sich einer die zwei Täubchen an!“, mokierte er sich und zeigte mit seinem tropfenden Finger auf unsere ineinander verschlungenen Blicke. „Und das hier, in aller Öffentlichkeit!“ Seine verschnupfte Stimme tönte, so dass jeder am Tisch ihn hätte hören müssen.
Ihr Mann hatte unterdessen sein Mitteilungsbedürfnis über den absolvierten Lehrgang befriedigt. Ganz meinen Erwartungen entsprechend holte er nun dazu aus, sich „an damals“ zu erinnern und fiel dabei auch bald in die obligate Elegie darüber, dass vor ein paar Jahren doch alles besser gewesen sei.
Indes vertieften sich unsere Blicke ineinander: mein Blick löste das Stoffband, das ihr Haar hielt, Strähnen fielen den Zweien über die Schultern, und sie küssten einander.
Etwas abseits, in einer schlecht beleuchteten Ecke, räusperte sich da ihre Vernunft. Ich hatte sie zuvor glatt übersehen. Sie war in ein blassgrünes Kostüm gekleidet, das sie vermutlich immer dann trägt, wenn sie sich unter Menschen begibt und befürchtet, das Gespräch könne länger als fünf Minuten bei einem Thema bleiben. Das Treiben auf dem Tisch schien Sie zu fesseln. Sie rückte ihren Stuhl näher und duckte sich. Ihr bis eben noch blasses Gesicht hatte etwas Farbe angenommen.
„Also, ich finde es unpassend, dass die zwei hier 'rumknutschen“, beschwerte sich mein Verstand breitbeinig und derart laut, dass es sicher auch auf der Toilette noch gut zu hören gewesen wäre. „Außerdem ist der hier doch ihr Mann! Ich kann mir kaum vorstellen, dass dem das recht ist.“
„Schsch!“, zischte ihre Vernunft, die sich nun zur Seite gelehnt hatte, um die Annäherungen unserer Blicke besser beobachten zu können, „Lassen Sie die beiden doch. Sie tun doch nichts Böses, oder?“ Für einen Moment blickte sie in die Runde, als erwarte sie, dass einem von uns die Antwort auf der Stirn geschrieben stünde. Mittlerweile tendierte ihr Teint ins Rötliche.
„Hast du eigentlich mal was von Thomas gehört?“, fragte mich ihr Mann. Das nun ging wirklich zu weit. „Nein“ antwortete ich streng. Daraufhin erschöpfte sich sein Redefluss und er nahm den Bierdeckel wieder vom Tisch auf.
Inzwischen begannen unsere Blicke einander auszukleiden. Ihr Blick zog den meinen an sich, seine Zunge glitt an ihrem Hals empor, seine Hände spielten über die Spitzen ihrer Brüste. Man kann doch die zwei jetzt nicht unterbrechen, dachte ich und wischte mir übers Kinn. Ihre Vernunft kaute auf der Unterlippe. Sie hatte Wangen wie der Frühling. Ihr Ehemann drehte den Bierdeckel um. Auf der Rückseite war ein Segelschiff abgebildet. Er lächelte.
In diesem Moment rempelte mich mein Verstand mit seinem feuchten Ärmel an. „Sag mal, ist dem das vollkommen egal?“, bedrängte er mich. „Ach, ich weiß: Es ist ihm egal, weil er sie so sehr liebt, stimmt's“? Er zupfte mir dabei am Hals, so dass mir das Wasser in den Kragen lief. „Oder tut er nur so gleichgültig, weil er sie nicht mehr liebt? So ist es, oder? Irgendwas stimmt doch hier nicht! Kannst du ihn nicht mal fragen?“, bat er mich mit nasaler, Unsicherheit simulierender Stimme. Das ist typisch, dachte ich - feige wie ein Pinscher. Ich ignorierte ihn, das machte ihn rasend. „Er sitzt da und gafft seinen Bierdeckel an! Das ist doch nicht normal! Kann mir jetzt bitte mal jemand erklären, was hier eigentlich gespielt wird!“, brüllte er in die Runde.
„Könnten Sie wohl bitte mal die Klappe halten!“, fauchte ihre Vernunft über den Tisch.
„Muss ich mir das von dieser Person bieten lassen?“, stieß mich mein Verstand daraufhin in die Rippen.
Ich zuckte nicht einmal mit den Achseln. Es war offenbar mal wieder soweit. Obwohl er ein Teil von mir ist, und obwohl ich das, was im Schädel dieses Simpels vor sich geht, bis ins Detail nachvollziehen kann, obwohl ich im wahrsten Sinne des Wortes „Verständnis“ für ihn aufbringe, hätte ich ihm schon vor langer Zeit mal gerne ordentlich eine reingehauen, und zwar mitten ins Gesicht. Was aber bringt das, fragte ich mich. Ebenso wenig konnte ich doch meinen Blick zurechtweisen. Er trieb es weit heute, gewiss, vielleicht zu weit. Doch ich wusste auch, wie sehr er diesen Moment herbeigesehnt hatte. Was blieb mir also anderes, als zu schweigen?
„Ich wünsche eine Erklärung!“, brüllte mein Verstand, dass es nur so spritzte.
„Maul halten!“, kreischte ihre Vernunft, ohne allerdings dabei den Blick von der erstaunlichen Progression der Zärtlichkeiten über dem Tisch zu wenden.
„Ok!“ flüsterte mein Verstand. „Ich verlange, dass die zwei sofort aufhören.“
Für einen Moment war nur der Atem der Verliebten und das regelmäßige Tropfen vom Saum des Trenchcoats zu hören. Immer dasselbe, dachte ich mit erzwungener Gleichgültigkeit. Wenn er doch dazu wenigstens mal andere Schuhe anzöge! Dann hob der pitschnasse Narr den Arm und beugte sich vor, um meinen Blick bei der Schulter zu fassen. Das reichte mir. Ich packte ihn bei seinem blöden Coat und schleuderte ihn quer durch die Bar in eine Ecke. Gleich darauf bereute ich.
„Ich hab's nicht so gemeint“, sagte ich leise.
„Hast du was gesagt?“, fragte ihr Mann und blickte für einen Moment vom Achterdeck einer Dreimastbark zu mir auf.
Mein Verstand rappelte sich und schlug sich den Schmutz vom Trenchcoat. Dann schaute er mich lächelnd an.
„Jetzt hör mal gut zu, du kleiner, parteiischer Emporkömmling“, sagte er mit gefasster Stimme, während er langsam zwei Knöpfe seines Trenchcoats öffnete. „Wir wollen sehen, wer von uns Zweien der Stärkere ist.“ Mit diesen Worten zog er einen verchromten Revolver hervor, legte in Ruhe an und drückte ab.
Links auf meines Blickes Rücken, ungefähr in Brusthöhe, befand sich ein Flecken, aus dem warme Flüssigkeit quoll. Der Platz ihrer Vernunft hatte gefährlich nahe an der Bahn gelegen, auf der das Projektil seinen Weg fortgesetzt hatte, nachdem es meines Blickes Brust durchschlagen hatte. Blut war über das blasse Grün des Kleides und das Altweiß der Wand verspritzt. Im Angesicht all der plötzlichen Farbenpracht war ihre Vernunft schlagartig totenblass geworden. Mit aufgerissenem Mund rang sie nach Atem für einen kindischen Schrei, während mein Blick einer rohen Kalbsleber nicht unähnlich von der Tischkante glitt.
„Aber du hast doch gerade eben etwas gesagt?“, insistierte ihr Mann.
„Ach nichts“, antwortete ich. „Ich habe wohl nur laut gedacht. Die umgekehrte Reihenfolge, dachte ich, jetzt bewusst leise, die umgekehrte Reihenfolge wäre unbedingt die bessere Lösung.
Eine Wolfsmutter und ihr Junges saßen mir in der U-Bahn gegenüber. „Und warum klingelt es schon wieder?“, fragte das Kleine. Jedes Mal wenn der Zug in einen Bahnhof einfuhr ertönte ein Klingelsignal, ähnlich einem verstärkten Telefonläuten. Dann informierte eine Lautsprecherstimme darüber, dass ab Bahnhof Zoologischer Garten ein Bus eingesetzt würde, weil jemand auf die Gleise gesprungen sei. „Und warum klingelt es schon wieder?“, fragte er mit jedem neuen Bahnhof. „Vielleicht telefonieren die miteinander.“, antwortete die Wolfsmutter immer wieder. Das glaube ich nicht, dachte ich, das sind sicher irgendwelche Signale für die Leute von der Bahn.
Ich kenne einen Feuerwehrmann, der bei einer Sonderstaffel der Berliner Feuerwehr arbeitet. Sind bei einem Verkehrsunfall Verletzte in den Blechhaufen eingekeilt, schneidet er sie aus dem Schrott, und ist ein Brand besonders gefährlich, so wird sein Zug zu Hilfe gerufen. Er sprach auch von denen, die auf die Gleise springen.
Die Hände zwischen Stirn und Scheibe gelegt, spähte der kleine Wolf in das vorbeihuschende Dunkel. Dann wandte er sich um: „Und warum ist da jemand gesprungen?“, fragte er. Die Wölfin hatte große graue Augen. Wie im Sommer der Wind in ein Roggenfeld fährt und die Halme sich biegen, so log sie: „Vielleicht ist etwas auf die Schienen gefallen und jemand ist hinabgesprungen, um es aufzuheben oder einer hat nicht aufgepasst und ist vom Bahnsteig geplumpst.“
„Und warum klingelt es schon wieder?“, fragte der Kleine, als der Zug in den nächsten Bahnhof einfuhr. „Ich weiß es nicht“, antwortete sie, „Vielleicht sind das ja auch irgendwelche Signale für die Leute von der Bahn“.
Es ist Abend. Der schwarze Mann betritt seine Hütte. Er stellt einen Karton ab, um den eine Schnur gebunden ist. In dem Karton ist ein Radio.
Er hat seine Hütte früh verlassen und ist den Pfad entlang ins Dorf gegangen, wo alle noch schliefen. Er hat es durchquert, und als er in die Steppe hinauslief, ging zu seiner Rechten die Sonne auf. Der schwarze Mann erreichte die Straße. Mittags näherte sich ihm ein Bus. Die Straße führt in die Stadt. Dort kann man Mais, Hirse, Öl, ein Huhn, eine Ziege, ein Messer, Tabak, Gewürze und andere Dinge kaufen.
Vor zweiundzwanzig Tagen war der schwarze Mann bei einem Händler gewesen. „Was willst du?“ hatte der ihn gefragt. „Ehrenwerter Händler“, hatte er geantwortet, „ich will ein Radio kaufen“. Der Händler hatte genickt und den Preis für ein Radio genannt. „Ich werde bezahlen“, hatte der schwarze Mann gesagt. „Das ist gut, Herr“, hatte der Händler geantwortet, „Kommt nach Vollmond wieder. Dann sollt Ihr Euer Radio haben“.
Der schwarze Mann setzt sich auf seine Matte. Er durchtrennt die Schnur. Er schaut in den Karton, lächelt und nimmt ein durchsichtiges Tütchen hervor: „Bedienungsanleitung für den Vierband- Weltempfänger Typ Super Luxus“, liest er. „Vor Inbetriebnahme des Geräts bitte sorgfältig durchlesen“. Seine schwarzen Füße schmerzen und er streckt sich auf seiner Matte aus. Darauf hat er sich bei jedem Schritt seines Heimwegs gefreut. Der schwarze Mann arbeitet die Bedienungsanleitung aufmerksam durch, danach studiert er die Garantieurkunde. Dann greift er in seine Tasche aus Ziegenleder und holt vier Batterien hervor, die ihm der Händler gegeben hat. Er blättert zurück auf die Seite mit der Überschrift „Einlegen der Batterien“ und liest erneut. „Hoffentlich passen sie“, denkt er und folgt der Anleitung. Sie passen. Mit klopfendem Herzen stellt der schwarze Mann sein Radio vor sich auf die Matte und betätigt einen Schalter. „Was ist das?“ Er schlägt die Stirn in Falten. Solche Töne hat er noch nie zuvor gehört. Vorsichtig dreht er an dem Knopf mit der Aufschrift „Volume“. Das harzige Kreischen wird lauter. Reglos hockt er vor dem Apparat. „Das ist etwas Fremdes“, denkt er. An sich stört ihn Fremdes nicht, doch es gibt nicht viel Fremdes in seiner Umgebung, deshalb verwirrt es ihn ein wenig. Er dreht noch etwas lauter. Die Hütte ist erfüllt von fließendem, sägendem Quietschen. „Whuo!“ entfährt es dem schwarzen Mann.
Die Klangqualität des Vierband-Weltempfänger Typ Super Luxus entspricht nicht den Anforderungen der Hi-Fi-Norm nach DIN 45500. Das ist dem schwarzen Mann egal. Er hat das Gerät der glänzenden Knöpfe wegen gekauft. Er wollte ein Radio mit vielen glänzenden Knöpfen besitzen, an denen er drehen und schalten kann. Er hat sich vorgestellt, auch seine Gäste und Feinde möchten daran drehen und schalten - seinen Gästen wird er es gestatten, seinen Feinden wird er es verbieten. Die Bedienungsanleitung hat er gelesen, um etwas über die Funktion der Knöpfe zu erfahren - seinen Gästen wird er sie verraten, seinen Feinden wird er sie verschweigen. Außerdem dachte der schwarze Mann, dass sich das Radio gut auf seinem Bambusregal machen würde.
Inzwischen interessieren ihn die Knöpfe und ihre Wirkung nicht mehr - denn nun spielt das Radio: gesendet wird das Konzert für Violoncello mit Begleitung des Orchesters, a-moll Opus 129 von Robert Schumann. Es spielen Jacqueline du Pré, Violoncello und das New Philharmonia Orchestra unter der Leitung von Daniel Barenboim. Die Sätze: 1.) Nicht zu schnell 2.) Langsam 3.) Sehr lebhaft. Als der schwarze Mann das Radio eingeschaltet hatte, war gerade Takt 5 des ersten Satzes erklungen: An dieser Stelle beginnt die Exposition des Themas durch das Cello. Der Ausruf des Erstaunens („Whuo!“) entfuhr dem schwarzen Mann zu Beginn der Durchführung, das ist kurz nach dem zweiten Orchestertutti, etwa 10 Takte nach Ziffer B. Die drei Sätze des Konzerts gehen ohne Pausen ineinander über. Inzwischen sind wir bei der Reprise angelangt (Ziffer F) und nähern uns dem zweiten Satz. Dem schwarzen Mann ist mittlerweile sehr seltsam zu Mute.
Es ist Abend. Benjamin Schreiner, pickliger Oberschüler, und Natalie Blum, nicht mehr ganz so picklige Oberschülerin, sitzen händchenhaltend auf der Terrasse von Familie Blums Penthouse-Wohnung in Düsseldorf-Oberkassel. Beide sind furchtbar aufgeregt - nicht wegen der eineinhalb Liter Tee, die sie während der vergangenen Stunde verdrückt haben, sondern weil sie ineinander verliebt sind. Beide möchten den anderen küssen, noch lieber aber würden sie vom anderen geküsst werden - leider macht keiner den Anfang. Schweigend sitzen sie in der Hollywoodschaukel und sehen zu, wie der stinkende Rhein unter der Oberkasseler Brücke hindurchfließt. Ab und zu streicheln ihre Finger vorsichtig umeinander.
Die Musik des schwarzen Manns ist Trommelmusik. Amerikanische Schlager, wie er sie aus den Radios im Dorf schon hat plärren hören, stören ihn auch nicht. Trommelmusik aber gefällt ihm besser. Das allerdings, was jetzt aus seinem Radio klingt, begeistert ihn wirklich: Er hat nicht das geringste Bedürfnis, danach zu tanzen. Ihm ist, als verrate ihm jemand ein Geheimnis aus einer fremden Welt, das ihn zwar nicht betrifft, das ihn aber gerade deshalb brennend interessiert. Er legt sich auf seine Matte, schließt die Augen und lauscht. Eigentlich hatte er die Bedienungsanleitung noch einmal lesen wollen.
Der schwarze Mann sitzt in einem kleinen Auto. Er kennt das klapprige Lastauto des Händlers, im Bus ist er schon mitgefahren und an der Straße vor der Stadt steht ein altes, ausgebranntes Auto, in dem die Kinder spielen. „Das ist aber ein fremdes und sehr kleines Auto, in dem ich sitze“, denkt der schwarze Mann. Obendrein steuert er das kleine Auto. Wer ein Auto steuern will, muss das Steuerrad festhalten und die Uhren dahinter im Auge behalten - mehr weiß der schwarze Mann nicht über das Steuern von Autos. Es scheint jedoch zu reichen, denn das kleine Auto fährt eine breite Straße entlang.
Ein Trabbi bollert über eine Bodenwelle der Autobahn Berlin-Rostock hinweg. Obwohl das Konzert zwischen 2005 Uhr und 2030 Uhr mittelafrikanischer Zeit gesendet wird, fährt der schwarze Mann durch die frühe Morgendämmerung, was mit der Zeitverschiebung zu tun hat (eine öde und unverständliche Angelegenheit, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll). Als er sein Radio einschaltete, war er etwa auf der Höhe des Dörfchens Linum zwischen den Autobahnausfahrten Kremmen und Fehrbellin, und mit dem Verklingen des A-Dur am Ende des dritten Satzes wird er an der Ausfahrt Herzsprung vorüberfahren. Er kommt also nicht einmal bis zum Abzweig Wittstock, wo sich entscheiden würde, ob er Richtung Rostock oder Richtung Hamburg weiterfährt, geschweige denn bis zur innerdeutschen Grenze, beziehungsweise bis dorthin, wo diese Grenze einmal war (vorausgesetzt, er will überhaupt zu dieser Grenze). Es ist also vollkommen Schnuppe, ob die Trabbifahrt des schwarzen Manns in die Zeit vor oder nach der Wende fällt. Es spielt keine Rolle, ob er die Bundes-Republikanisch-Deutsche oder Deutsch-Demokratisch-Republikanische oder irgendeine Sonstwie-Deutsche Staatsbürgerschaft hat oder ob er Bürger des Kongo, des Sudan, Guinea-Bissaus oder eines beliebigen anderen abgegrenzten Territoriums ist, dessen dümmerer Teil an Bewohnern sich kraft Geburt zur Wahrung gemeinsamer Güter und Werte verpflichtet fühlt oder verdonnert glaubt, je nachdem. Genauso fucking uninteressant ist es, ob der schwarze Mann mit oder ohne Durchreisevisum, Ausreiseantrag, Aufenthaltsgenehmigung, Arbeitserlaubnis oder Einreisebestätigung unterwegs ist. Als das Konzert zu Ende ist, erhebt er sich nämlich und schaltet sein Radio aus. Er tritt vor seine Hütte und schaut für eine Weile zu, wie sich die Affen raufen. Ruhig lehnt er in den palmwedelverzierten Eingang und blickt verträumt nach dem Affenwäldchen hinüber, wo die Affen allabendlich wild durchs Unterholz toben.
Es dämmert. So früh ist noch nichts los auf der Autobahn. Während des ersten Satzes begegnete dem schwarzen Mann keine Menschenseele. Im zweiten Satz kam ihm ein Motorrad entgegen. Außerdem überholten ihn ein Tanklastzug und ein Volkswagen. Der zweite Satz des Cellokonzerts von Robert Schumann ist sehr schön und der schwarze Mann ist ein sensibler Zuhörer, so dass er es nicht bemerkte, als er überholt wurde. In Takt 320 klingt die Kantilene dieses Satzes aus und für einen Moment verbleibt ein gespenstisch leeres Dunkel. Robert lässt hier vier Takte des Themas aus dem ersten Satz noch einmal auftauchen und beendet damit den vorausgegangenen Zauber. Bevor man ihn herzt, ihm Trost zuspricht und ihm ein Taschentuch reicht, seine Tränen zu trocknen, muss man selbst dem besten Freund erst eine Ohrfeige geben, damit er wieder zur Besinnung kommt. Auch Robert entlässt niemanden ohne ein aufmunterndes Wort und eine freundliche Geste. Es folgt nämlich ein gelungener dritter Satz, der dem schwarzen Mann Gelegenheit gibt, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass das Konzert bald vorüber sei. Die Ecksätze bilden gewissermaßen einen Puffer zwischen dem, was Jacqueline im zweiten Satz verkünden darf, und dem Tosen einstürzender Kartenhäuser, dem Gekeif und Geschrei von Schändern und Geschändeten, dem gelblispelnden Klang von Lügen und all dem, was sonst noch den terrestrischen Äther verpestet. Als die Holzbläser diese vier Takte des Themas spielten, brauste ein großer Citroën an dem schwarzen Mann vorbei. Robert sorgte sich bereits, ob der gefühlvolle Neger überhaupt wieder zu sich kommen würde. Man kann verstehen, dass ihm ein Stein vom Herzen fiel, als der schwarze Mann den Wagen bemerkte. Leider war Robert zu diesem Zeitpunkt schon 133 Jahre und knapp dreieinhalb Monate tot - außerdem überspannt bereits seit langer Zeit keine Gesichtshaut mehr des Meisters arg zersägten Schädel -, sonst hätte er gewiss vor Freude gelächelt (die Autopsie vom 29.7.1856 hatte ergeben, dass Roberts Gehirn 1,3 Kilogramm wog). Der schwarze Mann erschrak nicht einmal, als der große Wagen ihn überholte: „Mit Autos ist es wie mit Tieren“, dachte er, „ein Leopard läuft schneller als ein Warzenschwein“ (womit er übrigens Recht hat). Und weil sich niemand darüber aufregt, dass ein Leopard schneller läuft als ein Warzenschwein (abgesehen vom Warzenschwein vielleicht), regte sich auch der schwarze Mann nicht auf, als der Wagen an ihm vorüberfuhr.
Der dritte Satz nahm seinen Lauf. Zu Anfang war der schwarze Mann noch ein wenig benommen. Allmählich jedoch sammelte er sich. Wiederholt blickte er aus dem Seitenfenster auf die Wipfel der märkischen Kiefernwäldchen, die sich gegen den blaurot melierten Morgenhimmel abhoben. Ihm schien, als sei er nie woanders zu Hause gewesen als in einer Gegend, in der solche Bäume wachsen. Der Trabbi lief prima, die Autobahn war einigermaßen glatt und es war noch genug Gemisch im Tank für den Rest des dritten Satzes. Zwischen Robert, Jacqueline, Daniel und dem schwarzen Mann herrschte stilles Einvernehmen. Es versprach, ein guter Tag zu werden.
LESER. Was wollten Sie mit ihrer Geschichte „Serafina“ sagen? Warum dieser Titel?
AUTOR. Wissen Sie, ich hatte nichts Bestimmtes vor, als ich die Geschichte schrieb. Zu meiner eigenen Überraschung wurde dann eine Liebesgeschichte daraus. Ich habe es selbst erst bemerkt, als die Geschichte schon fertig war. Es geht um Serafina Butterflybombe. Sie stammt eigentlich aus Kanada und wuchs in Vancouver auf, aber als sie neun war, zog ihre Familie nach Seattle, USA. Sie machte eine Ausbildung als Flugzeugmechanikerin, später sah sie sich dann die Welt an. Inzwischen wohnt sie in Berlin. Ihr Name könnte der Titel zu dieser Geschichte sein, dachte ich. Verstehen sie? Daher.
LESER. Ach so! Na, da wird mir natürlich einiges klar.
AUTOR. Ja, so einfach ist das.
LESER. Also, danke jedenfalls.
AUTOR. Oh, keine Ursache. War doch selbstverständlich. [2]
ist zu finden unter:
http://de.geocities.com/mattismanzel/
Kommentare aller Art sind willkommen an:
Schönheit zählt. Kunst ist nun, da wir den großen Sinneskleister Internet haben, unzensiert und gratis. Jeder, der eine Website gebacken bekommt, kann jedem, der einen Browser bedienen kann, völlig umsonst alles zeigen und sagen. Also ist Kunst unzensiert und gratis. Und also ist der Künstler wieder Eichendorffs schnorrender Geiger, der nun statt über die Dörfer über die Server zieht, und der spielt, was die Seele ihm zuruft. Er ist frei. Es ist wunderbar. Aber dies nur nebenbei.
Sollten Ihnen diese Texte gefallen haben, und sollten sie einen Geldbetrag ihrer Wahl auf das Konto von Mattis Manzel, Nr. 432073-103, Postbank Berlin, BLZ 10010010 überweisen wollen (und auch den Vermerk „Spende für ... Albatros“ nicht vergessen), so geben Sie bitte Ihre email-Adresse mit an, denn es ist wahrscheinlich, dass ich mich bedanken werde.
Ich bin bereit, in folgender Staffelung des Überweisungsbetrags einen stummen Kommentar zu erkennen:
ein Cent = Scheiße
zwei Cent = ginge so
drei Cent = Geil!
Ich wünschte, ich könne an dieser Stelle jenen Personen, die mir drei Cent spenden möchten, das Gefühl geben, ich würde mich bevorzugt bei ihnen bedanken, bevorzugt vor den anderen, welche mir weniger als drei Cent senden. Dies kann ich jedoch leider nicht. Dies ist nämlich viel, viel teurer.
„Netz-Schnorrerei“, „Internet-Bettelei“, „internet-begging“ oder „net-bummin’“ – diese neue Form des globalen Elends ist hochnot peinlich. Weiß ich.
Nix für ungut
Tschüss Leute/Ciào fio’i
Euer
mattis
[1] Kurz vor Ende des Dokuments findet der Leser wertvolle Informationen, die ihm das Verständnis dieser Geschichte erleichtern werden.
[2] Anmerkung des Herausgebers:
Name, Geburtsort, Nationalität, Ort und Art der Ausbildung, wie auch der erwähnte Lebensweg und der aktuelle Wohnort der beschriebenen Person - ja vielleicht sogar ihr Geschlecht - sind auf ausdrücklichen Wunsch des Autors möglicherweise geändert worden.2
2 Anmerkung des Verlags:
Um Missverständnissen vorzubeugen, weisen wir darauf hin, dass die als „Anmerkung des Herausgebers“ bezeichnete Fußnote nicht vom Herausgeber, sondern vom Autor selbst stammt.
Gatza-Verlag 3
3 Die Fußnoten stammen durchweg vom Autor.
Mathias Gatza 4
4 Jawoll! Er hat sich alles selbst ausgedacht.
Otto von Bismarck